© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/22 / 05. August 2022

Verdeckte Preiserhöhungen und Qualitätseinbußen nehmen zu
Die heimliche Inflation
Dirk Meyer

Ob beim Milchkauf, beim Tanken oder im Restaurant – die Inflation trifft jeden. Im Juli stiegen die Preise im Vergleich zum Vorjahresmonat um durchschnittlich 7,8 Prozent. Hinzu kommt die „kalte Progression“, wenn bei der nächsten Lohnerhöhung die höhere Steuer zuschlägt. Und dies bei sinkenden Reallöhnen – der Lohnzuwachs ist oft niedriger als die Inflation. Bei einem Anstieg der Erzeugerpreise um ein Drittel bleibt den Produzenten nichts anderes übrig, als diese irgendwann an die Endverbraucher weiterzugeben – meist mit einer zeitlichen Verzögerung. Doch eine einfache Preiserhöhung wäre einfallslos.

Kreativer, da eventuell nicht sofort entdeckt ist ein reduzierter Packungsinhalt – zum Zwecke der Intransparenz idealerweise mit einer Preiserhöhung kombiniert. Die Amerikaner nennen das treffend „Shrinkflation“. Trat das Mogelphänomen bislang eher bei Markenartikeln auf, greifen nun zunehmend deutsche Supermärkte bei ihren Eigenmarken zu diesem Trick. Die Verbraucherzentrale Hamburg deckt auf Kundenzuruf monatlich, besonders eindrucksvolle Fälle auf. So enthält die Packung „Jack’s Farm Lammsteak“ für 6,99 Euro bei Aldi statt 400 nur 300 Gramm – ein Preisanstieg um 33 Prozent.

Besonders trickreich: Die Umverpackung hat eine unveränderte Größe. Zur Stellungnahme aufgefordert, begründet Aldi Süd diese „Luftnummer“ mit einer Leugnung marktwirtschaftlicher Rationierung durch Preise: „Die veränderte Füllmenge ergibt sich auch aus der aktuellen Verknappung der Ware.“ Netto bietet 200 Gramm „Olivano’s Linsen-Bulgursalat pikant“ um 50 Gramm reduziert statt für 0,89 nun für 0,99 Euro an. Die 39prozentige Preissteigerung begründet der Discounter damit, daß „im Februar eine Grammaturumstellung auf 200 Gramm stattgefunden“ habe. Die Verbraucher habe man „darüber transparent durch eine Anpassung der Grammaturangabe auf Verpackung sowie Preisschild informiert“, hieß es aus der Presseabteilung. Ansonsten hätte es wohl auch Ärger mit der Gewerbeaufsicht gegeben.

Die Verbraucherzentrale beobachtet zunehmend eine derartige intransparente Kombination aus Preiserhöhung und reduzierter Füllmenge. So seien in den vergangenen zwei Jahren 18 Prozent der von Kunden angezeigten Artikel hiervon betroffen gewesen, während es im ersten Halbjahr 2022 bereits 35 Prozent waren. Ein weiteres Beispiel dieses Kombi-Tricks bietet die „Naturgut Bio Holzofen-Pizza mit Mozzarella, Spinat & Feta“ bei Penny. Statt 460 Gramm zu 2,49 Euro ist sie jetzt mit nur 410 Gramm zu 2,99 Euro zu haben. Man habe „zugunsten von Qualität und Geschmack auf einen neuen Lieferanten umgestellt“. Und wer könnte das widerlegen?

Gemeinhin korrigiert das Statistische Bundesamt die Preise bei Qualitätsverbesserungen (neue PCs, Smartphones) nach unten, so daß eine geringere Inflationsrate ausgewiesen wird – nicht jedoch im umgekehrten Fall. Derzeit dürften allerdings eher Qualitätsverschlechterungen gängig sein, um Kosten zu sparen. Dies wird insbesondere bei Dienstleistungen offensichtlich: In der Pflege explodieren die Kosten, so daß trotz gestiegener Zuzahlung weniger Pflegezeiten möglich sind. Bei digitalisierten Fahrkartenverkäufen werden Kosten auf die Kunden verlagert, ohne daß die Preise sinken. Inflation – das unsichtbare Wesen?






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.