© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/22 / 05. August 2022

Steinkohleverstromung startet wieder
Ein Drama aus dem Tollhaus
Marc Schmidt

Das Drama der deutschen Energiepolitik mit dem Titel „Das langwierige Scheitern der Energiewende an der Realität“ ist um einen weiteren Akt reicher. In Niedersachsen kehrt mit einem mittelgroßen Block das Steinkohlekraftwerk Mehrum mit 690 Megawatt Nettoleistung aus der Reserve in die Erzeugung und Einspeisung zurück. 

Kein Kraftwerk für deutsche Braunkohle, sondern ein Meiler in tschechischem Besitz, dem ausländische Steinkohle auf mit Schweröl betriebenen Schiffen an den eigens dafür gebauten Hafen am Mittellandkanal geliefert wird. Wirtschaftsminister Habeck selbst hat die Rückkehr des Steinkohlekraftwerks durch eine Verordnung erlaubt, die Stromproduktion aus Öl- und Steinkohlekraftwerken, die von der Reserve in den Betrieb wechseln, bis April 2023 gestattet.

Mit einem elektrischen Nettowirkungsgrad von gut 40 Prozent ist Mehrum eigentlich nicht wirklich effizient, aber das voll abgeschriebene Kraftwerk rechnet sich angesichts der Rekordpreise an der Strombörse und der guten Verfügbarkeit der verschiffbaren Steinkohle für den Betreiber. 

Auf Mehrum werden weitere Kraftwerke folgen. Die steag plant, 2.300 Megawatt wieder an den Markt zu bringen. EnBW verschiebt schlicht die Überführung verschiedener Kraftwerksblöcke in die Reserve. Angesichts der logistischen Probleme beim Transport der Steinkohle warten andere Betreiber noch bis Oktober. Dann zeichnet sich ab, daß auch Braunkohlekraftwerke als Folge einer Gaseinsparverordnung, die Minister Habeck dieser Tage erstellen läßt, wieder aus der Reserve genommen werden dürfen.

Kohle statt Gas ist eine sinnvolle Rückkehr zum verläßlichen Energiemix. Dieser würde deutlich umweltfreundlicher ausfallen, hätte Deutschland nicht bei der Verteufelung von für die Grundlast notwendigen Kraftwerken sich selbst an Gründlichkeit überboten. Der Wahn, einen Industriestandort mit volatiler Ökoenergie versorgen zu wollen, scheitert seit 25 Jahren. Daß jetzt ein grüner Wirtschaftsminister per Verordnung Kohle verstromt um Gas zu sparen, ist ein weiterer Beleg für die grüne, realitätsverweigernde Energiedoktrin und bis zum offiziellen politischen Anerkenntnis des Irrwegs ein Drama aus dem Tollhaus.