© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/22 / 05. August 2022

Mit dem Animismus in eine lebensfreundlichere Zukunft
In der Sackgasse der Verwertungslogik
(ob)

Im 19. Jahrhundert kreierten Ethnologen den negativ besetzten Begriff Animismus, um den Glauben an die Beseeltheit von Tieren, Pflanzen und Dingen zu bezeichnen. Ein Glaube, der ihnen als falsche Wahrnehmung der Wirklichkeit galt, die „Primitiven“ eigen war, weil sie zwischen Ich- und Nicht-Ich nicht unterschieden und ihr Innenleben in die Außenwelt projizierten. Auch heute noch, kritisiert die Journalistin Theresa Schouwink, verbinden leider viele mit dem Schlagwort Animismus kognitive Schwäche, die Europäer an „niedrige Kulturstufen“ erinnere und von Rückständigkeit und Esoterik, im schlechten Fall von Geisteskrankheit zeuge (Philosophie Magazin, 3/2022). Schouwink meint jedoch, seit geraumer Zeit einen Sinneswandel in der „aufgeklärten“ Öffentlichkeit zu spüren. Denn die „großen Krisen“ der Gegenwart, „Klimaerwärmung und Artensterben“, würden die Überzeugung von der Überlegenheit der „Logik des westlichen kapitalistischen Weltbezugs“ erschüttern. Zumal „grüne“ Antworten auf diese multiplen Krisen nur tiefer in sie hineinführten, da ihre Windrad- und E-Auto-Ökonomie am Wachstumsparadigma und Irrglauben von der „Natur als grenzenlos ausbeutbare Ressource“ festhalte. Weil das Projekt einer Emanzipation der Menschheit durch technologischen Fortschritt und Wirtschaftswachstum zu Lasten der Natur nun „in einer Sackgasse“ ende, stiegen die Aktien des Animismus indigener Völker, die Mensch und Natur als komplexes Gefüge gegenseitiger Abhängigkeit begriffen. Insoweit weise ihr Weltbezug für den globalen Norden nicht auf eine archaische Vergangenheit, sondern auf eine lebensfreundlichere Zukunft.