© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/22 / 05. August 2022

„Wir sollten alle viel mehr weinen“
Ein Buch wie ein Kabarett-Monolog: In „Du darfst nicht alles glauben, was du denkst“ spricht der Komiker Kurt Krömer über seine Depression und über lackierte Fingernägel
Dietmar Mehrens

Denis Schecks Urteil in der Sendung „Druckfrisch“ vom 1. Mai war vernichtend. „Wenn ein Akteur des Medienbetriebs seine eigene Krankheitsgeschichte so anwanzerisch, in schlimmstem Dummdeutsch ausschlachtet […], dann ist ein Maß an intellektueller Unterkomplexität erreicht, daß mein Urteil über dieses Buch, wohlgemerkt nicht aber über den Menschen, leider feststeht“, befand der ARD-Chefkritiker und beförderte das Buch in den Behälter für durchgefallene literarische bzw. pseudoliterarische Werke.

Scheck mag sich etwas undiplomatisch ausgedrückt haben, doch im Kern hat er recht, vor allem mit seinem Urteil über die sprachliche Unterkomplexität des von Kurt Krömer verfaßten Textes. Die meisten Sätze sind eine ästhetische Zumutung. Kostprobe von Seite 135, in der Krömer seinen Kollegen Teddy Teclebrhan beschreibt: Teddy „hat funny bones, Mutterwitz. [...] Aber auf der anderen Seite schätze ich Teddy auch sehr, weil er deep sein kann. [...] Du kannst wunderbar mit ihm hin und her switchen.“ Über seinen Freund, den im September 2020 verstorbenen Schauspieler Michael Gwisdek schreibt er, der habe sich nicht gern Auftritte angeguckt, denn „das fand er scheiße langweilig“. Wer zum Vergleich Thomas Melles Selbstbeschreibung „Die Welt im Rücken“ (2016) über die Auswirkungen einer Psychose oder Ronja von Rönnes zwei Monate vor Krömers Depressionsbericht veröffentlichten Roman „Ende in Sicht“ liest, dem dürfte rasch der Unterschied zwischen einer trivialen und einer sprachästhetisch gelungenen Bewältigung des Themas klar werden.

Klinikaufenthalt mit

achtwöchiger Therapie

„Du darfst nicht alles glauben, was du denkst“ – der Titel gibt die Empfehlung eines Therapeuten wieder – ist ein auf Papier gedruckter Endlos-Kabarettauftritt. Das ist stellenweise natürlich schon witzig. Vor allem aber imponiert die totale Schambefreitheit des Vortrags, der im Internet bereits als „Seelenstriptease“ bezeichnet wurde. An dem Verdikt, daß die Schilderung seiner eigenen Depressionsleidensgeschichte ohne den geringsten literarischen Wert ist, ändert das allerdings nichts. Weniger hart sollte man hingegen über Krömers Motivation urteilen. Es ist zwar in der zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung Usus geworden, Menschen, in deren Seelenleben man keinen Einblick hat, die übelsten Motive zu unterstellen, aber warum soll man dem Fernsehmann nicht erst mal glauben, wenn er schreibt: „Ich will wirklich nicht als das Leiden Christi durchs Land ziehen und meine Krankheitsgeschichte erzählen, sondern ich möchte mit diesem Buch Menschen helfen. Menschen, die sich in meiner Geschichte vielleicht wiederfinden.“ Und warum sich nicht mit Krömer freuen, wenn er am Ende befreit feststellen kann, daß er nach langer Zeit zum ersten Mal „total happy“ ist?

Er selbst freilich gab sich als Moderator von „Chez Krömer“ weniger aufgeschlossen und unterstellte auch gern mal böse Motive. Der Komödiant machte sich einen Spaß daraus, Menschen in seine Sendung einzuladen, die er nicht mag, und diese dann einer Großinquisition zu unterziehen. Frauke Petry, Boris Palmer und Erika Steinbach mußten sich – das gehörte zum Konzept – teilweise ungehörige und gehässige Bemerkungen gefallen lassen („Erzählen Sie nicht immer den gleichen Scheiß!“). Heute können die Verhörten sich damit trösten, daß sie es mit einem psychisch Kranken zu tun hatten. Denn Krömer bekennt freimütig: „Ich war mehr als dreißig Jahre lang depressiv.“

In seinem Buch stellt sich der 47jährige mit seinem bürgerlichen Namen Alexander Bojcan vor. Kurt Krömer sei schließlich eine Kunstfigur, klar zu unterscheiden von dem, der hier spricht. In drei Teilen schildert der alleinerziehende vierfache Vater die Vorgeschichte seines Klinikaufenthalts, die achtwöchige Therapie und die Zeit danach. Im ersten Kapitel „Das Outing“ blickt er zurück auf einen gemeinsamen Auftritt mit seinem Kollegen Torsten Sträter in „Chez Krömer“, bei dem die beiden Kabarettisten ihre Probleme mit Depressionen öffentlich machten. 

Panikattacken, Alkoholsucht, Ausgebranntsein – bereits 2008, nachdem Krömer im Berliner Admiralspalast elf Vorstellungen am Stück gegeben hat, stellt sich das Gefühl ein: Der Akku ist leer. Der Unterhaltungskünstler möchte sich die Bettdecke über den Kopf ziehen und am liebsten gar nicht mehr aufstehen – ein klassisches Symptom. Vier geplante Auftritte werden abgesagt. Im Juli 2020, unmittelbar vor der Produktion der dritten Staffel von „Chez Krömer“, merkt der Komiker: Nichts geht mehr. Krömer landet in der Psychiatrie, bekommt eine achtwöchige Behandlung verordnet: Gruppen- und Einzelgespräche, Kreativtherapie, Yoga, „Achtsamkeitsrunden“, Ruhephasen in einem speziellen Ruheraum. Im Kreise der Mitpatienten stellt sich ein ungewohntes Gefühl ein: „Ey, geil, die verstehen mich.“ Krömer stellt sich seinen Ängsten und seiner Vergangenheit. Immer wieder kommen ihm die Tränen, denn: „Da löst sich was.“ Krömer merkt, daß er „unglaublich gerne“ weint, auch nach der Therapie noch, spontan in der S-Bahn zum Beispiel. Seine Empfehlung: „Wir sollten alle viel mehr weinen.“ 

Ein peinvoll-pathetisches Regenbogen-Glaubensbekenntnis

Einen „schwarzen Hund“ nannte in seinem Roman „Zwei Herren am Strand“ (2014) über Winston Churchill und Charlie Chaplin der Schriftsteller Michael Köhlmeier die Depression; „eine schwarze, schwere Hexe, die nach Kacke stinkt“ und auf seinem Bauch sitzt, so daß er sich nicht mehr rühren kann, ist die Metapher, die Kurt Krömer wählt. Sie ist so etwas wie der sprachliche Höhepunkt seines autobiographischen Rapports. Inhaltlich den stärksten Eindruck hinterläßt der Abschnitt im Hauptkapitel „Die Klinik“, in dem er schildert, wie die klinische Therapie lange verdrängte Verletzungen aus der Kindheit zutage fördert. Der TV-Unterhalter berichtet von seinem cholerischen, gewalttätigen Vater, der die Mutter vor den Augen des Kindes demütigte und schließlich, keine siebzig Jahre alt, mit „drei Promille im Blut“ infolge eines Herzinfarkts auf der Straße zusammenbrach.

Leider scheint der Autor nach Abschluß seines Berichts festgestellt zu haben, daß da noch was fehlt, so etwas wie ein relevanter Beitrag zum Weltfrieden, etwas politisch Gewichtiges, das über seine sehr privaten Alltagsnöte hinausstrahlt in die Weiten des Universums. Also lackiert sich Kurt Krömer im letzten Kapitel seines Buches demonstrativ die Fingernägel und läßt sein ganz persönliches Regenbogen-Glaubensbekenntnis vor den leuchtenden Augen der Leserschaft explodieren. Das aber fällt so peinvoll pathetisch aus, daß einen massive Zweifel beschleichen, ob man es tatsächlich mit einem Geheilten zu tun hat. Es klingt verdächtig nach schwarzer Hexe.

Kurt Krömer: Du darfst nicht alles glauben, was du denkst. Meine Depression. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022, gebunden, 192 Seiten, 20 Euro