© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/22 / 05. August 2022

Nachwuchsmangel in den Geschichtswerkstätten
Barfußhistoriker gehen in Rente
(ob)

Das Lebensgefühl der 1970er und 1980er Jahre war einerseits noch bestimmt von der Erfahrung der „Grenzen des Wachstums“ und zunehmender Empfindlichkeit für die ökologischen Kollateralschäden des „Fortschritts“, angelaufene zweite Globalisierung werde die „eine Welt“ mit grenzenlosem Wohlstand erschaffen. Aus dem Widerstand gegen diese universalistische Utopie erklärt sich auch die Entstehung von „Geschichtswerkstätten“, die um 1980 wie Pilze aus dem Boden schossen. Dort sollten nach dem Motto „Grabe, wo du stehst“ Bürger im überschaubaren lokalen Raum ein historisches Bewußtsein entwickeln, das, deutlich fortschrittsskeptisch ausgerichtet, auf die akademisch verwaltete „Geschichte der Mächtigen“ antwortete, um „basisdemokratisch emanzipative Prozesse“ in Gang zu bringen. Im Hamburger „Stadtteilarchiv Ottensen“, der ältesten deutschen Geschichtswerkstatt, ist dieses von Profis wie Hans-Ulrich Wehler einst als „Barfußhistorie“ verspottete Konzept nach Ansicht ihres Vorsitzenden, des Architekten Burkhart Springstubbe, weitgehend aufgegangen (Deutsche Universitätszeitung, 5/2022). Aber nun scheine das biologisch bedingte Ende dieser Erfolgsgeschichte nicht nur dort absehbar, da Nachwuchs, der Lust hat, nach eigenen Wurzeln zu graben, nicht in Sicht sei. 


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