© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/22 / 05. August 2022

Schöner, deutscher, geiler
Auch in den Charts gilt mittlerweile die Amtssprache – das scheint nicht jedem recht zu sein
Florian Werner

Ob an der französischen Côte d’Azur oder im spanischen Andalusien, ob am holländischen Ijsselmeer oder in den deutschen Alpen – in den Charts von ganz Europa findet gerade ein Revival der Landessprachen statt. In Frankreich nicken die Menschen zu „Tout Va Bien“ mit den Köpfen, in Spanien fahren sie mit „Tití Me Preguntó“ zur Arbeit, in den Niederlanden haben sie „Automatisch“ im Ohr und in Deutschland feiern sie zu „Layla“. Vorbei sind die Zeiten, in denen Boybands aus Übersee im niedlichem Strubbellook „heart“ auf „start“ und „you“ auf „true“ reimen konnten, um an kreischenden Teenies ein Vermögen zu verdienen. Das Englische ist die längste Zeit Lingua franca in der Pop-Welt gewesen. Bands aus Großbritannien und den Vereinigten Staaten wie Coldplay, Ed Sheeran und One Direction wurden auch in Deutschland immer mehr durch Stars mit heimischen Wurzeln verdrängt.

Insbesondere der berühmt-berüchtigte Deutschrap hat die deutsche Sprache aber zurück in die Charts gehoben. Tracks wie „Kleiner Prinz“ aus der Feder des Berliner Rappers Pashanim oder „Letztes Mal“ von Bonez MC und RAF Camora aus Hamburg und Wien beherrschen hierzulande das Ranking. In seinem sommerleichten Tune erzählt der türkischstämmige Rapper Pa­shanim von seinen Erlebnissen und Träumen in seiner Berliner Heimat Kreuzberg. „Kleiner Prinz, große Stadt/ Babygirl, ruf’mich an ich hol dich ab/ Meine Brüder an den Ecken, sie verchecken nonstop/ Ich hab’ Uludağ und Wock Donnerstag in mei’m Cup.“ Wer sich fragt, was in aller Welt „Uludağ“ sein soll – es handelt sich um eine Limonade aus der Türkei, die nach einem Berg im Westen Anatoliens benannt ist. Wer sich bei den Sommertemperaturen erfrischen will, dem sei das Kaltgetränk an dieser Stelle empfohlen. Anderen Musikern scheint die Hitze bereits etwas zu Kopf gestiegen zu sein. In ihrem neuen Track zeichnen die beiden Rapper RAF Camorra und Bonez MC den aus ihrer Sicht scheinbar sehr schmalen Grat zwischen Gewalt und Musik nach. „Kalaschnikow ist aus Gold/ Mach Kunst und mache Gewalt/ Ja, ja, ja, hab sehr viel Erfolg/ Und einen Bruder, wenn es mal knallt.“ Hoffen wir, daß die beiden zeitnah einen Schluck Uludağ zur Abkühlung zu sich nehmen.

An der Spitze der Charts hierzulande steht derzeit allerdings unangefochten die Ballermann-Hymne „Layla“ der beiden Schlager-Veteranen DJ Robin und Sänger „Schürze“. Das Lied sorgte bereits kurz nach seinem Erscheinen für Tumulte. Textzeilen wie „Er hat ’n Puff/ Und seine Puffmama heißt Layla/ Sie ist schöner, jünger, geiler“ lösten wegen angeblichen Sexismus Empörung aus. Kritiker wie beispielsweise der Komiker „Dr. Pop“ nannten den Song frauenfeindlich. Die beiden Musiker versuchten sich in einer Ehrenrettung ihres Machwerks und taten in zwei Musikvideos so, als sei die in Rede stehende Layla in Wahrheit entweder nur ein verkleideter Mann oder eine harmlose Katze. Beides half nichts. Die Städte Würzburg und Düsseldorf wollten den Hit trotzdem auf ihren Stadtfesten verbieten. Das Verbot indes zeigte keinerlei Wirkung – verwackelte Handyaufnahmen aus den Bierzelten zeigten johlende Menschenmassen, die „schöner, jünger, geiler“ skandierten. Das skurrile Finale ihres Höhenflugs erreichte die Ballermann-Hymne schließlich im ZDF-Fernsehgarten, wo das etwas betagte Publikum im Takt der dröhnenden Bässe hin und her schunkelte.

Die englische Sprache wirkte wie eine Tarnkappe für die Popkultur

Seitdem wird in Deutschland wild diskutiert, was Popmusik darf und was nicht. Der Umstand, daß ähnliche Verbalentgleisungen auf englisch noch vor wenigen Jahren wahrscheinlich nicht einmal ein Stirnrunzeln hervorgerufen hätten, geht dabei schnell unter. Noch im Jahr 2013 hat es niemanden gestört, daß der amerikanische Rapper Snoop Dogg in seinem Song „Wiggle“ laut darüber fabulierte, was er mit Frauen im Bett alles anstellen wolle. Und selbst in einer so unschuldig wirkenden Vergangenheit wie 2011 konnte Lady Gaga in „Born This Way“ auf allen Radiokanälen das Leben als Transgender besingen – ohne daß es deshalb über das dahinterstehende Mindset eine Diskussion gegeben hätte.

Die englische Sprache wirkte über Jahrzehnte wie eine Tarnkappe für die Veränderungen auch der hiesigen Popkultur. Oft wurde deshalb sogar die Klage laut, in den deutschen Charts werde zu wenig auf deutsch getextet. Jetzt aber, wo Deutsch wieder zur Verkehrssprache im landeseigenen Popgeschäft wird, scheint man sich auf einmal den Schleier der Fremdsprache zurückzuwünschen. Als ob die amerikanischen Künstler Tyga und Nicki Minaj anders und besser wären als der Offenbacher Haftbefehl und die Hamburgerin Shirin David. Das Gegenteil ist der Fall – da man Musik wie die von Haftbefehl versteht, kann man über sie diskutieren. Dasselbe gilt für den Song „Layla“, der aufgrund seiner riesigen Beliebtheit übrigens erst vor kurzem zum „Sommerhit des Jahres 2022“ gekürt worden ist.

Wie lange sich die schöne Layla nach diesem Erfolg noch an der Spitze der deutschen Charts behaupten kann, bleibt indes abzuwarten. Auf Platz sieben scharrt bereits die Newcomerin „Olivia“ von den Zipfelbuben mit den Hufen. Wer diesen Song allerdings schon einmal gehört hat, der weiß, daß die nächste Sexismus-Debatte nicht mehr weit ist: „Wenn deine Mutter wüßte, Olivia/ Zeigst jedem deine Brüste, Olivia/ Wenn deine Mutter wüßte, Olivia/ Mit jedem in die Kiste, Olivia.“