© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/22 / 05. August 2022

Der Flaneur
Weg mit dem Plunder
Elke Lau

Kennen Sie diese Situation? Sie stellen eine Kiste mit aussortierten Büchern in den Keller, entdecken bei jedem Besuch dort einen interessanten Titel, und nach wenigen Monaten verstauben die Exemplare wieder im Regal. Die Verlegung unseres Wohnsitzes vom Schwarzwald in den Norden löste dieses Problem: Etwa fünfhundert Bände wanderten in die örtliche Bücherei oder werden auf Flohmärkten verscherbelt. Nun verbringen wir wieder ein paar Tage in der vertrauten Umgebung und treffen unseren ehemaligen Nachbarn Ulrich, kurz „Uli“. Er stellt gerade drei Bananenkisten mit Büchern an den Straßenrand. „Morgen ist Sperrmüll“, erklärt er. „Warum schenkst du die nicht der Bücherei?“ frage ich entgeistert und wühle sofort in den Kartons. „Hab ich ja, aber die lehnen die Annahme ab, zuviel Arbeit.“ 

Wie ich Ulis Gesichtsausdruck deute, riecht er den Braten. Ich enttäusche ihn nicht und bewahre fünfzehn weltberühmte Klassiker, teilweise noch eingeblistert, vor ihrem Schicksal.  Die meisten Anwohner hatten die Gelegenheit ebenfalls genutzt und Bettgestelle, Matratzen, Regale, Wäschetrockner und Geschirr für die Müllabfuhr herausgestellt. Natürlich – typisch „Muschterländle“ – alles sorgfältig aufgeschichtet. Der Vermieter unseres Ferienhauses hatte ebenfalls seinen Speicher geleert.

Schock beim Blick aus dem Fenster: Unsere Hinterlassenschaften wirbeln wie wild durch die Luft.

Wie das Schicksal es will, zieht ein Gewitter auf. Wer den Schwarzwald kennt, weiß, daß sich ein Sturm hier minutenschnell in einen Orkan verwandeln kann. Gerade noch rechtzeitig räumen wir unsere Gläser und die Vesperplatte vom Balkontisch, als ein Inferno das Kommando übernimmt. Dann der Schock beim Blick aus dem Fenster: Unsere Hinterlassenschaften wirbeln wie wild durch die Luft und landen auf der Straße. So schnell wie das Unwetter kam, verschwindet es jedoch auch wieder. Uli fackelt nicht lange. Barfuß watet er durch die Wasserlachen und sichert zentnerschwere Matratzen. Fertig! In diesem Moment erscheint unser Wirt, der eigentlich zwei Kilometer entfernt auf dem Berg wohnt und freut sich riesig über Ulis Einsatz – aber noch mehr über die Einladung zu Sekt, Bier und Vesperplatte.