© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/22 / 12. August 2022

Schweigen ist Gold?
Finanzskandal in Hamburg: Neue Enthüllungen könnten Bundeskanzler Olaf Scholz in Bedrängnis bringen
Christian Schreiber

Als wären die Umfragewerte für seine SPD nicht schon mies genug, steht Bundeskanzler Olaf Scholz eine Affäre ins Haus, die nach Einschätzung von Hauptstadt-Journalisten und Opposition das Potential hat, seine Amtszeit vorzeitig zu beenden. Nächste Woche muß der Regierungschef abermals vor dem Untersuchungsausschuß der Hamburger Bürgerschaft zur Steueraffäre in der Finanzbehörde der Hansestadt Rede und Antwort stehen. Dabei geht es um die Rolle von Scholz während seiner Amtszeit als Erster Bürgermeister der Hansestadt in Zusammenhang mit den sogenannten Cum-Ex-Geschäften der Warburg-Bank. Ebenfalls involviert: Scholz’ damaliger Finanzsenator und späterer Nachfolger Peter Tschentscher sowie der frühere Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs (alle SPD). 

Im Kern geht es um die Frage, ob sich Hamburger Politiker schützend vor die Bank stellten, als das Traditionshaus seine offenbar illegal erlangten Steuervorteile 2016 zurückzahlen sollte. Bislang beteuerten alle Verantwortlichen, eine Einflußnahme auf das Steuerverfahren habe es nie gegeben. Die Hamburger Privatbank hatte zwischen 2007 und 2011 Cum-Ex-Aktienhandel betrieben, wie viele Finanzinstitute weltweit. Sie ließen sich vom Staat Steuern erstatten, die sie nie gezahlt hatten. Insgesamt 47 Millionen Euro konnte der Fiskus 2016 zurückfordern.  

Die juristische und politische Aufarbeitung verlaufen zäh, bis in der vergangenen Woche eine veritable Bombe platzte. Wie bekannt wurde, ermittelt die für Finanzdelikte zuständige Staatsanwaltschaft Köln gegen Johannes Kahrs, den früheren SPD-Haushaltsexperten im Bundestag. Demnach haben Ermittler bei einer Razzia Ende September 2021 in dessen Bankschließfach bei der Hamburger Sparkasse mehr als 200.000 Euro in unterschiedlich großen Scheinen entdeckt. Und nun drängt sich der Verdacht auf, daß es sich hierbei um Schmiergeldzahlungen der Bank an Kahrs gehandelt haben könnte. „Johannes Kahrs hat in seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter versucht, beim Bundesfinanzministerium und bei der Bafin für die Warburg-Bank zu lobbyieren“, sagte der Journalist und Buchautor Oliver Schröm, dessen Enthüllungswerk „Die Akte Scholz“ im Oktober auf den Markt kommt. Zudem habe Kahrs den Mitinhabern der Privatbank den Weg zu Olaf Scholz geebnet. „Und nach den Treffen mit Scholz hat Hamburg auf die Rückforderung der erbeuteten Millionen verzichtet. Danach gingen von Warburg nahestehenden Firmen 45.500 Euro an die Hamburger SPD“, erläuterte Schröm weiter. 

Der heutige Kanzler bestreitet bislang jede Einflußnahme, und an die Gespräche mit den Warburg-Bankern könne er sich nicht richtig erinnern. Peinlich ist in diesem Zusammenhang, daß die damaligen Bank-Bosse detaillierte Aufzeichnungen über ihre Treffen mit Scholz angefertigt hatten. Für Schröm ist klar: „Wenn Olaf Scholz sagt, er könne sich an nichts erinnern, lügt der Bundeskanzler.“

„Schließfach ist Sprengstoff für den Bundeskanzler“

Um Johannes Kahrs ist es derweil still geworden. Im Frühjahr 2020 bekundete er Ambitionen, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages zu werden. Die SPD-Fraktionsspitze schlug jedoch statt Kahrs die Abgeordnete Eva Högl als Nachfolgerin vor. Kurz darauf trat Kahrs von seinem Bundestagsmandat und allen politischen Ämtern zurück. Mittlerweile drängt sich die Frage auf, ob Kahrs damals ahnte, was juristisch auf ihn zukommen könnte. 

In den Reihen der Sozialdemokraten ist die Nervosität spürbar. „Das Auffinden von 200.000 Euro im Schließfach von Johannes Kahrs ist sehr besorgniserregend. Kahrs sollte gegenüber der Öffentlichkeit und der SPD begründen, warum er so eine hohe Summe Bargeld lagert. Mir fehlt die Phantasie, daß es dafür eine rechtlich saubere Begründung gibt“, twitterte der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Erik von Malottki. 

Für die Opposition in Hamburg und im Bund ist der erst jetzt bekanntgewordene Bargeldfund in Kahrs’ Schließfach eine Steilvorlage. „Die Ungereimtheiten nehmen immer mehr zu. Es ist überhaupt nicht klar, woher Kahrs das Geld bekommen und inwiefern das sozialdemokratische Netzwerk in Hamburg von diesen Vorgängen profitiert hat“, sagte Hamburgs CDU-Chef Christoph Ploß: „Olaf Scholz und Peter Tschentscher müssen zur Aufklärung beitragen. Beide dürfen nicht länger abtauchen.“ CDU-Generalsekretär Mario Czaja glaubt, daß „der Bundeskanzler sich jetzt nicht mehr durch Aussitzen aus der Affäre ziehen kann. Scholz muß Kahrs dazu auffordern, die Herkunft des Geldes zu belegen.“

Der Finanzexperte Fabio De Masi sieht für Olaf Scholz bereits das politische Totenglöcklein läuten. Er saß für die Linke im Bundestag und machte sich dort bei der Aufklärung von Finanzskandalen – etwa um den Zahlungsdienstleister Wirecard – einen Namen. Er ist sich sicher: „Das Schließfach ist Sprengstoff für den Bundeskanzler.“ Über 200.000 Euro in bar in einem Schließfach aufzubewahren könne nur einen Grund haben. „Offenbar wollte Kahrs keine elektronische Datenspur auf seinem Konto.“ Der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete blieb zu Wochenbeginn abgetaucht und ließ Medienanfragen unbeantwortet. Das Hamburger Abendblatt berichtete zudem, den Mitgliedern des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses in der Bürgerschaft lägen Unterlagen vor, wonach bereits im März das Amtsgericht Köln einen Durchsuchungsbeschluß für das Postfach „olaf.scholz@sk.hamburg.de“ ausgestellt habe und daraufhin die Mails des früheren Hamburger Bürgermeisters und heutigen Bundeskanzlers durchsucht wurden. 

„Die Fülle an Ungereimtheiten wirft immer mehr Fragen auf – das stinkt zum Himmel!“, meint das Mitglied im Cum-Ex-Untersuchungsausschuß, Alexander Wolf (AfD). Daß Tschentscher und Scholz nichts gewußt haben wollen, hält der Fraktionsvizechef für nicht glaubwürdig: „Die Bürger verdienen umfassende Aufklärung.“ Daß der Kanzler dazu kommende Woche beitragen wird, bezweifelt Wolf allerdings gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. 

Und auch andere, die mit der Arbeit des Ausschusses befaßt sind, geben sich skeptisch: Die Verantwortlichen in der Hansestadt seien sehr verschwiegen. „Die decken sich gegenseitig“, so ein Experte resigniert.

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