© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/22 / 12. August 2022

Krank oder nicht, entscheidet Karl
Infektionsschutzgesetz: Die Ampel-Koalition ringt sich neue Corona-Regeln ab – und die Fachleute schütteln den Kopf
Jörg Kürschner

Der unter Vermittlung des Kanzleramts zustande gekommene Pandemie-Kompromiß zwischen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) erfährt heftigen Widerspruch von Experten, die vor einem Dauerimpfen warnen. Der Chor der politischen Kritiker ist ebenfalls groß, auch beim Ampel-Partner FDP, beschränkt sich längst nicht nur auf die AfD, was der Koalition zu denken geben dürfte. Der Gesetzentwurf soll noch im August vom Bundestag verabschiedet werden. Die beiden Unterhändler werden Änderungen hinnehmen müssen.

Der Entwurf sieht weiterhin eine Maskenpflicht in Bus, Bahn und Flugzeugen sowie neu eine Masken- und Testpflicht in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen vor. Die Länder sollen selbst entscheiden, ob sie darüber hinaus in öffentlich zugänglichen Innenräumen Masken vorschreiben. In Restaurants sowie bei Kultur- und Sportveranstaltungen soll es allerdings Ausnahmen für getestete, frisch geimpfte und frisch genesene Menschen geben. Eine Maskenpflicht in der Schule ist nur vorgesehen, wenn sonst kein geregelter Präsenzunterricht möglich wäre – und auch dann nur ab dem fünften Schuljahr. 

Befürchtet ein Bundesland, daß sein Gesundheitssystem zusammenbricht, sollen auch Maskenpflichten bei Veranstaltungen draußen möglich sein, wenn Mindestabstände nicht eingehalten werden können. Dann soll es auch keine Ausnahmen für Getestete, Genesene und Geimpfte geben. Die Maßnahmen sollen vom 1. Oktober bis 7. April (Karfreitag) 2023 gelten. „Deutschland soll besser als in den vergangenen Jahren auf den nächsten Corona-Winter vorbereitet sein“, rechtfertigte Lauterbach das Konzept. Er spricht von einem „Anreiz für die Impfung“.

Mehrheit dagegen, sich alle drei Monate impfen zu lassen

Die Resonanz fiel für die Ampel ernüchternd aus, insbesondere weil die dritte Corona-Impfung nicht länger ausreichen soll. Ein vierter Piks und weitere sollen folgen. So will es die Koalition. Denn die Länder können in Bars, Restaurants und anderen Freizeiteinrichtungen wieder eine Maskenpflicht anordnen. Nur wer einen Negativtest, einen Genesenen- oder einen Impfnachweis vorlegt, der höchstens drei Monate alt ist, darf ohne Maske feiern. Wie nach der Einlaßkontrolle festgestellt werden kann, welcher Besucher eine Maske tragen muß und welcher nicht, verrät der Gesetzesentwurf nicht.

Die Regelung stieß in der FDP auf vielfache Empörung. „Das darf der Bundestag nicht so beschließen“, stellte sich Parteivize Wolfgang Kubicki gegen seinen Parteifreund Buschmann. Einem Gesetz, das „entgegen medizinischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse Impfdruck aufbaut, Maskenpflicht an Schulen ermöglicht oder Menschen weiter ausgrenzt, kann ich auch aus ethischen Gründen nicht zustimmen“, positionierte sich – neben weiteren Fraktionskollegen – die FDP-Bundestagsabgeordnete Katja Adler deutlich.

Unter Druck gerät die FDP auch durch die Opposition. Der CDU-Parlamentarier Erwin Rüddel legte den Finger in die Wunde. „Ich wundere mich, daß die FDP diesen Panikmodus mitmacht.“ Lauterbach verunsichere mit seinem Kurs die Bevölkerung. „Immer weniger Bürger haben Verständnis für die Gesundheitspolitik Lauterbachs“, zeigte sich AfD-Bundessprecherin Alice Weidel überzeugt. Sie berief sich auf eine aktuelle Umfrage des Erfurter Meinungsforschungsinstituts Insa. Danach gaben 58 Prozent der Bürger an, sich nicht alle drei Monate impfen lassen zu wollen, wie von Lauterbach gefordert. Die Pandemie werde lediglich vorgeschoben, um im Herbst erneut grundgesetzlich verbriefte Freiheiten einzuschränken, so Weidel. Sie verwies zudem auf die zunehmende Kritik von Wissenschaftlern am Gesundheitsminister. 

„Es kann nicht die Lösung sein, sich dauernd impfen zu lassen“, betonte etwa der Bonner Virologe Hendrik Streeck. Ausgerechnet Kanzler-Bruder Jens Scholz, langjähriger Leiter des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, ging Lauterbach frontal an. Die Quarantäne-Regeln lehnt er komplett ab. „Ich bin froh, daß Herr Gassen, der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, jetzt auch sagt: Wer krank ist, bleibt zu Hause. So machen wir das bei der Grippe ja auch.“ Gassen hatte dafür plädiert, alle Corona-Isolationspflichten aufzuheben. Dagegen beharrt der Minister darauf: „Infizierte müssen zu Hause bleiben“, nicht nur die, die Symptome haben. 

Schweres Geschütz fuhr Andreas Radbruch auf, Vizepräsident der Europäischen Föderation der Immunologischen Fachgesellschaften. „Herr Lauterbach verabschiedet sich von der Wissenschaft.“ Immer mit dem gleichen Impfstoff weiter zu impfen, helfe überhaupt nicht gegen die virulente Infektionslage. Auch Lauterbach habe die vierte Impfung nicht vor seiner aktuellen Infektion geschützt. „Karl Lauterbach macht krank“, wurde im Regierungsviertel bereits zweideutig geunkt.

Voraussichtlich ab Oktober würde sich für geschätzt rund 51 Millionen Menschen die Frage einer vierten Impfung stellen, soweit diese Ende Juni erst dreimal geimpft waren. Zum Herbst droht die Maskenpflicht in Restaurants, es sei denn, Impfung oder Genesung liegen keine drei Monate zurück. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt bislang nur Menschen ab 70 Jahren sowie Risikogruppen eine vierte Corona-Impfung. 

„Schluß mit dem Klein-Klein zwischen FDP und SPD“

Lauterbach wirbt dagegen für Viertimpfungen auch bei Menschen unter 60 Jahren, nach Rücksprache mit dem Arzt. „Man braucht für jedes Alter eine Botschaft.“ Spätestens wenn die neuen an die Omikron-Variante angepaßten Impfstoffe da seien, „sollte es klare Ansagen auch für die unter 60jährigen geben“. Knapp sechs Wochen vor Inkrafttreten der neuen Regelungen gibt es also keine einheitliche medizinische und politische Vorgabe, ab welchem Alter eine weitere Impfung angeraten ist.

Am vergangenen Dienstag berieten die Ressortchefs von Bund und Ländern in einer Sonder- Gesundheitsministerkonferenz (GMK) über das künftige Infektionsschutzgesetz. Was Mecklenburg-Vorpommern nicht reicht. Der regelmäßige Austausch auf der Ebene der Gesundheitsminister sei richtig, sagte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD). „Ich halte es aber für notwendig, daß auch die Regierungschefs darüber beraten.“ Das Gesetz müsse auch durch den Bundesrat, warnte sie und sollte möglichst einheitlich umgesetzt werden. Kritisch hatte sich bereits im Vorfeld auch Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) geäußert. Der bisherige Gesetzentwurf weise „deutliche Lücken auf“, aus Sicht des Freistaats müsse das neue Infektionsschutzgesetz dringend verschärft werden, sagte er der dpa. „Wichtig ist, daß jetzt Schluß ist mit dem Klein-Klein zwischen FDP und SPD in der Ampel-Koalition und wir das Gesetz fachlich auf ein solides Fundament heben. Zeit wird’s“, meinte der Christsoziale.