© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/22 / 12. August 2022

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Kein Licht für nichts
Paul Rosen

Der Berliner Ingenieur Heinrich Stiebel stellte ab 1927 kleine Durchlauferhitzer her. Das war damals eine technische Sensation und ermöglichte, warmes Wasser dort bereitzustellen, wo man es sich wünscht. 95 Jahre später ist diese Erfindung in Berlin am Ende: In den Bundestagsgebäuden wurden die Durchlauferhitzer abgeklemmt, auch in Toilettenräumen gibt es kein warmes Wasser mehr. Das soll laut Präsidentin Bärbel Bas (SPD) dazu dienen, Energie zu sparen und damit die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zu verringern. Auch die Abschaltung der Kuppelbeleuchtung nach Besuchsschluß gegen Mitternacht soll ein Zeichen für Energieeinsparung setzen. Was vom Bundestagspräsidium allerdings nicht berichtet wurde: Der Bundestag bezieht überhaupt gar kein Erdgas. 

Doch Klappern gehört zum Handwerk, und daher wird nicht nur die Beleuchtung reduziert, sondern es werden Abgeordnete, Mitarbeiter und die Beschäftigten der Bundestagsverwaltung im Winter nur noch mit 20 Grad Raumwärme statt bisher 22 Grad auskommen müssen. Die Klimaanlagen, die bisher im Sommer für 24 bis 26 Grad sorgen sollten, werden auf 26 bis 28 Grad eingestellt. In den Sälen für die Fraktionen und für Ausschußsitzungen soll in Zukunft weniger gekühlt werden, und auch eine bei Touristen beliebte Lasershow am Spreeufer soll nicht mehr stattfinden.

„Wir müssen alle unseren Energieverbrauch reduzieren“, hatte Präsidentin Bars in einem Zeitungsinterview erklärt. Das gelte auch für den Bundestag. Doch das Parlament verfügt über ein weitgehend autarkes Versorgungssystem unter anderem mit rund 3.600 Quadratmeter Photovoltaikelementen auf den Dächern des Reichstags, des Paul-Löbe-und des Jakob-Kaiser-Hauses. 

Das Herzstück der Energieversorgung befindet sich jedoch im Keller des Reichstags. Dort laufen rund um die Uhr vier Zwölf-Zylinder-Dieselmotoren mit jeweils 540 PS, die eigens für den Betrieb mit Biodiesel umgerüstet worden sind. Der Biodiesel wird aus brandenburgischem Raps hergestellt. Auch Wärme liefern sie. „Der in den Motoren erzeugte Strom dient vollständig der Versorgung der Bundestagsgebäude. Zusätzlicher Bedarf wird aus dem öffentlichen Berliner Versorgungsnetz gedeckt und stammt zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen“, heißt es in einer Mitteilung des Parlaments.

Es gibt sogar einen Wärmespeicher in einer Gesteinsschicht 300 Meter unter dem Plenarsaal. Im Sommer wird salzhaltiges Wasser hochgepumpt und auf 70 Grad Celsius erhitzt und dann wieder in den Untergrund geleitet und dort gespeichert. Im Winter kann es zur Beheizung der Gebäude genutzt werden. 60 Meter unter dem Reichstag befindet sich auch ein Kältespeicher zur Kühlung der Parlamentsbauten. 

Die ganzen immens aufwendigen Abschaltaktionen sind reine Symbolpolitik, die möglicherweise noch durch einen Verzicht auf die Weihnachtsbaumbeleuchtung gekrönt wird.