© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/22 / 12. August 2022

Der Frust sitzt tief
„System Change Camp“: Linksextreme wollen die Gasversorgung sabotieren / Gegen den „fossilen Rollback“
Hinrich Rohbohm

Die Ankündigung klingt nach etwas Großem. Mit einem noch bis Montag andauernden „System Change Camp“  will ein aus mehreren linksradikalen Gruppen bestehendes Bündnis „den sofortigen Gasausstieg“ einleiten und den Bau von Terminals für verflüssigtes Gas, sogenanntes Liquefied Natural Gas (LNG) verhindern. Unter dem Motto „LNG stoppen, fossilen Kapitalismus sabotieren“ haben die Organisatoren eine „Massenaktion“ im „Großraum Hamburg“ angekündigt. Die Polizei rechnet mit dem größten Einsatz seit den G20-Krawallen 2017. Auch Einsatzkräfte aus anderen Bundesländern werden zusammengezogen.

Die organisatorischen Fäden zieht dabei maßgeblich die Organisation Ende Gelände, eine gewaltbereite Gruppe, die unter dem Deckmantel des Klimaschutzes versucht, breitere Schichten zu radikalisieren. Hinter Ende Gelände verbirgt sich die vom Verfassungsschutz beobachtete und als extremistisch eingestufte Interventionistische Linke, deren aus über 30 verschiedenen radikalen Einzelgruppierungen gebildetes Bündnis bei genauerer Betrachtung jedoch kaum massentauglich erscheint.

Schon im Juni floppten die selbsternannten Klima-Aktivisten, als sie anläßlich des G7-Gipfels auf Schloß Elmau eine Großdemonstration in München ankündigten. Von bis zu 40.000 Teilnehmern war seinerzeit die Rede gewesen; gekommen sind tatsächlich weniger als 4.000 (JF 27/22). Für die Klimabewegung ein Desaster. Wohl nicht zuletzt deshalb operierte man nun im Vorfeld des „System Change Camps“ mit vorsichtigeren Zahlen, sprach von bis zu 6.000 erwarteten Protestlern.

Vor allem der Ukraine-Krieg und die damit verbundene Energiekrise macht der Bewegung zu schaffen. Beides hat die  selbsternannten Klimaretter nicht nur in eine Glaubwürdigkeits- und Legitimationskrise gestürzt. Auch durch die Bewegung selbst geht ein tiefer Riß, der schon in München zu spüren war.

Da ist zum einen der Krieg selbst, der die einzelnen Gruppen entzweit. Während die klassisch- kommunistischen Gruppen rund um DKP, MLPD, Kommunistischer Aufbau und Teile der Linkspartei auch nach dem Überfall auf die Ukraine weiter treu an der Seite Rußlands stehen und in ihren Verlautbarungen gegen die Nato agitieren, verurteilen die mit den Grünen verflochtenen Gruppen wie etwa Campact den Angriffskrieg, sind um Solidarität mit der Ukraine bemüht und fordern den Ausstieg aus sämtlichen fossilen Energien einschließlich dem aus russischem Gas.

„Werden das beenden, bevor Habeck Fakten schaffen kann“

Ein Punkt, bei dem die sogenannte Klimaschutzbewegung derzeit zusätzlich mit einem Glaubwürdigkeitsproblem konfrontiert ist. Schließlich zieht sie gerade jetzt gegen LNG-Terminals zu Felde, wo diese doch das Russen-Gas ersetzen sollen. Was zudem die Frage aufwirft, warum die Bewegung in der Vergangenheit eigentlich nie Camps und Demonstrationen gegen die Nord-Stream-Pipelines abgehalten hatte.

Hinzu kommt eine kaum noch für möglich gehaltene Zunahme der Akzeptanz von Kernenergie, die im Angesicht realer Gefahren von Blackout und kalter Wohnzimmer inzwischen auch in Deutschland eine regelrechte Rennaissance erlebt. Und dann sind es auch noch ausgerechnet die bisher sich stets als Klima-Partei inszenierenden Grünen, die in Form ihres Wirtschaftsministers Robert Habeck Gas in Katar einkaufen, Kohlekraftwerke reaktivieren und darüber nachzudenken beginnen, die Abschaltung der letzten Kernkraftwerke in Deutschland zu verschieben.

Entsprechend tief sitzt der Frust bei den radikalen „Aktivisten“. „Fossiles Rollback? Jetzt reicht’s“, schreibt Ende Gelände in seinem Aufruf zur Verhinderung von LNG-Terminals. Daß die Bundesregierung „Milliarden an Investitionen in Flüssiggas“ investiere, sei „eine Kampfansage an alle, die für Klimagerechtigkeit kämpfen“, schäumt die Gruppierung. Und sendet ebenfalls eine Kampfansage an den einst von Linken gefeierten Hoffnungsträger und heutigen grünen Bundeswirtschaftsminister. „Wir werden diese Absurdität beenden, bevor Robert Habeck mit der Gas-Infrastruktur Fakten schaffen kann.“

Wie weit die Spaltung der Klimabewegung reicht, wird auch bei einem Blick auf die am Camp beteiligten Gruppen deutlich. Weder die Grünen noch die Linkspartei oder die SPD sind darunter zu finden. Lediglich die als noch deutlich radikaler als ihre Mutterpartei geltende Grüne Jugend ist als einzige parteinahe Organisation mit dabei. Jusos und die Linksjugend solid bleiben dem Camp offenbar fern. Ebenso verhält es sich mit Campact und den kommunistischen Splittergruppen. Selbst Fridays for Future zählt einzig mit seiner Hamburger Regionalgruppe zu den Unterstützern. Solidarität sieht anders aus. Darüber hinaus handelt es sich bei beteiligten Gruppen wie Seebrücke, Interventionistische Linke, Ende Gelände, Ums Ganze oder Sand im Getriebe zumeist lediglich um unterschiedliche Gruppen, hinter denen sich jedoch nicht selten die gleichen Akteure verbergen.

Auch im Schanzenviertel rund um die Rote Flora, eigentlich eine ökolinke Hochburg, ist man derzeit nicht gut auf die Grünen zu sprechen. „Kaum sind sie an der Macht verraten sie unsere Ziele“, läßt ein Mann um die 50 mit ergrautem, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenem Haar seinem Ärger freien Lauf, als die JUNGE FREIHEIT sich verdeckt in der „Schanze“ umhört. „Das ist zum Kotzen. Habeck und Baerbock verraten in nur wenigen Monaten alles, wofür wir jahrelang gekämpft haben“, empört sich eine etwas pummelige junge Frau mit rotgefärbten Haaren. Ähnlich äußert sich eine ältere Frau um die 70. „In den siebziger und achtziger Jahren bin ich gegen die Atomkraft auf die Straße gegangen. Alles umsonst“, schimpft sie.

Für zusätzlichen Frust sorgte bei den Organisatoren des „System Change Camps“ dann auch noch die bei der Hamburger Polizei angesiedelte Versammlungsbehörde. Die hatte den Protestlern untersagt, ihre Zelte wie ursprünglich geplant im Stadtpark aufzuschlagen, verlegte das Camp stattdessen in den Altonaer Volkspark. Die sogenannten Klimaaktivisten klagten, konnten dabei jedoch nur einen Teilerfolg erzielen. Nach einem Urteil des Hamburger Oberverwaltungsgerichts dürfen sie nun zwar ihre Zelte aufbauen, müssen sich jedoch mit der wesentlich kleineren Fläche im Volkspark begnügen.

Ihr ursprüngliches Ziel, die Infrastruktur der Hansestadt für ein ganzes Wochenende lahmzulegen, dürfte den Saboteuren rund um Ende Gelände nicht mal ansatzweise gelingen. Denn das als „Massenaktion“ angekündigte Camp ist mit der erwarteten Teilnehmerzahl von maximal 6.000 deutlich zu klein. Bereits in früheren Aktionskonferenzen hatte Ende Gelände die Hansestadt für Stör-Aktionen ins Auge gefaßt. Ihre Planungen sahen jedoch eine Teilnehmerzahl von mindestens 10.000 vor, um die Energie-Infrastruktur der Elbmetropole ernsthaft angreifen zu können. Davon ist man trotz wochenlanger bundesweiter und internationaler Mobilisierung weit entfernt.

Sabotage-Aktivisten sind vor allem aus Berlin, Dresden, Leipzig, Halle, Göttingen, Bremen, Kiel und Hannover angereist. Tage vorher bereiteten sie sich auf das Camp mit Aktionstrainings auf mögliche Stör-Aktionen vor. Etwa im UJZ Korn in Hannover, einem linksalternativen, von der Stadt finanzierten sogenannten unabhängigem Jugendzentrum, das vor allem der Antifa als Treffpunkt dient. Ebenso im Lila Drachen in Halle, einem als Kulturzentrum ausgewiesenen Treffpunkt in der Rudolf-Breitscheid-Straße, in dem auch die Linkspartei-nahe Volkssolidarität ihren Sitz hat. Der Name Lila Drache geht auf die wegen ihrer markanten Haarfarbe auch oft als Lila Hexe bezeichnete ehemalige Ministerin für Volksbildung in der DDR, Margot Honecker, zurück.

Unter anderem wiesen die Organisatoren die Teilnehmer an, „Gegenstände“ mitzubringen, die geeignet seien, „dem fossilen Kapitalismus dauerhaft zu schaden“ und vorsorglich auch Sekundenkleber.





Flüssiggas als Ersatz

Noch vor Weihnachten soll sogenanntes Liquefied Natural Gas (LNG), also auf minus 162 Grad Celsius gekühltes und dadurch verflüssigtes Gas, vom niedersächsischen Wilhelmshaven aus ins deutsche Netz fließen. Geliefert per Schiff, angelandet an einem schwimmenden Terminal, gelangt es dann per Röhre zum Knotenpunkt am Gasspeicher in Etzel, nahe dem ostfriesischen Wittmund (JF 20/22). Der Bau der Pipeline hat gerade begonnen. Das große Ziel: die drohende Versorgungslücke zu verkleinern, wenn der Kreml die Gas-Lieferungen aus Rußland weiter drosselt oder gar ganz stoppt. Dafür wurden sogar die bürokratischen Hürden gesenkt. Planung, Genehmigung und Bau dauerten insgesamt nur zehn Monate – statt wie sonst üblich rund acht Jahre. Und das Ganze mit dem Segen des grünen Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck, worüber Umweltverbände besonders erzürnt sind.Insgesamt 14 Einwände gegen die Gas-Pipeline wurden eingereicht. Man wolle den Bau von ein oder zwei weiteren Einheiten prüfen, mit denen dann mehr Gas importiert werden könne, kündigte indes Niedersachsens Energieminister Olaf Lies (SPD)  an. Eine Entscheidung darüber solle noch in diesem Monat fallen. (vo)