© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/22 / 12. August 2022

Verträge, die nicht das Papier wert sind
Kosovo: Der heftige Streit mit Serbien um Autoschilder und Einreisemodalitäten wurde lediglich vertagt
Hans-Jürgen Georgi

Der Mann war erstaunt, fast erschrocken, daß ihn ein Deutscher auf serbisch fragte, warum er das Nationalitätenkennzeichen SRB und das serbische Wappen an seinem Nummerschild nicht überklebt habe. Etwas entschuldigend, aber auch etwas herausfordernd antwortete er, hier würde es keine Kontrollen geben, denn hier lebten fast nur Serben. 

Genau zwei Monate später geraten diese Autokennzeichen und neue Einreisebestimmungen der kosovarischen Regierung in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Überschriften wie „Schüsse und Barrikaden“ oder „Serben im Kosovo zündeln“ vermittelten, daß es wieder um das Kosovo und Serbien heiß hergehen könnte. Dabei wiederholte sich das gleiche Ritual wie vor einem Jahr, als der kosovarische Premier Albin Kurti Menschen mit serbischem Personalausweis bei der Einreise in den Kosovo zwingen wollte, ihre Autokennzeichen durch solche der Republik Kosovo zu ersetzen. Auch damals blockierten die kosovarischen Serben aus Protest die Grenzübergänge, wurde die serbische Armee in Alarmbereitschaft versetzt, sagte Rußland den Serben seine Unterstützung zu und – schließlich ruderten die Kosovaren zurück. Dieses Mal sollen die neuen Grenzformalitäten bis zum 30. September ausgesetzt bleiben. 

Immer geht es, wie auch dieses Mal, um die Souveränität des Kosovo, das einmal eine Provinz Serbiens war und das sich 2008 als selbständig erklärt hat. Zwar wurde es von über 100 Staaten anerkannt, nicht aber von den Großmächten Rußland und China. Selbst die EU-Länder Spanien, Griechenland, Rumänien, die Slowakei und Zypern haben dem Kosovo die Anerkennung bisher verweigert, aus Angst vor den separatistischen Bestrebungen im eigenen Land. Ganz zu schweigen von Serbien, das in seiner Verfassung 2006 fest verankert hat, daß das Kosovo „ein integraler Bestandteil des Territoriums Serbiens“ ist. Und so sehen es die meisten Serben auch heute noch. „Kosovo ist Serbien“, heißt es immer wieder und steht es an den Wänden geschrieben. Selbst wenn der Präsident Serbiens einen Schritt auf die Kosovaren zugehen wollte, der Großteil der Serben würde es als Verrat betrachten. 

Nachdem der Gedanke an einen Gebietsaustausch, wie er in den Jahren 2018 bis 2020 diskutiert wurde, vom Tisch ist, bleibt als einziger Kompromiß die Einrichtung der sogenannten „Gemeinschaft der serbischen Gemeinden“ (ZSO), wie sie im Vertrag von Brüssel aus dem Jahr 2013 vorgesehen ist. Hiermit würden die Serben im Kosovo eine weitgehende Autonomie erlangen. Obgleich beide Seiten den Vertrag gültig abgeschlossen haben, will die jetzige Regierung unter Albin Kurti solch eine Konstruktion auf keinen Fall. Schon in der Opposition protestierte er gewaltsam gegen den Vertrag von Brüssel. Er und viele Kosovaren befürchten, daß aus der ZSO eine Art Republika Srpska mit den entsprechenden Eigenständigkeiten entstehen könnte. Kurti und seine Anhänger möchten, daß das Kosovo ohne Zugeständnisse an die Serben souverän und ganz „ihr Land“ wird. 

Ob sie damit allerdings durchkommen, ist derzeit zweifelhaft. Denn würde der Brüsseler Vertrag und damit die Bildung der ZSO mißachtet, wäre das ein bitteres Zeichen insbesondere für die EU. Es würde bedeuten, daß unter ihrer Ägide geschlossene Verträge nicht das Papier wert wären, auf denen sie geschrieben stehen. Auch das ein Grund, warum der durchsetzungsstarke US-Spezialgesandte für den Westbalkan, Gabriel Escobar, für das nächste Treffen der beiden Konkurrenten, Albin Kurtis und des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić, am 18. August die Frage der ZSO auf die Tagesordnung setzen möchte.