© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/22 / 12. August 2022

Wie die britische FTSE alle anderen Indices im Regen stehen läßt
Börsenboom trotz Brexit
Thomas Kirchner

Großbritanniens Wirtschaft steckt in einer Rezession. Steigende Zinsen, Steuererhöhungen, Brexit-Folgen und Energiekosten machen ihr zu schaffen. Doch die Börse boomt: als einzige der führenden Industrienationen liegt sie in diesem Jahr im Plus mit drei Prozent, Dividenden eingerechnet. DAX und S&P 500 liefern 16 bzw. 13 Prozent Verlust. Das liegt hauptsächlich an der Zusammensetzung der 100 Titel im FTSE-Index.

Sind die hohen Energiekosten problematisch für Verbraucher und Industrie, stellen sie aber für die beiden Börsengiganten BP und Shell, mit einer Gewichtung von 11,7 Prozent, eine einmalige Gewinnchance dar. Nur drei Energiewerte im FTSE haben in diesem Jahr 29 Prozent zugelegt und die Rendite des Index um drei Prozent verbessert. Vergleichbare Titel bietet der DAX nicht. Hohe Rohstoffpreise lassen die Gewinne bei Glencore und Rio Tinto sprudeln, die zusammen 6,6 Prozent des FTSE ausmachen und 27 bzw. 7,2 Prozent in diesem Jahr gestiegen sind. Im DAX hingegen ist es die energieabhängige Chemie, die höhere Preise zahlt. Der Sektor hat den DAX 1,5 Prozent nach unten gezogen, den FTSE nur 0,15 Prozent.

Ein weiterer, großer Unterschied ist der Gesundheitssektor, der den DAX um ein Prozent drückt. AstraZeneca und GlaxoSmithKline haben die fetten Covid-Jahre zwar hinter sich, heben den FTSE aber immer noch zwei Prozentpunkte an. Die steigenden Zinsen sind ein Glücksfall für die Banken – Barclays und HSBC stellen 6,6 Prozent des FTSE aus. HSBC legte 2022 24 Prozent zu. Trotzdem ist der Beitrag der 19 Finanztitel zur Indexrendite mit 0,5 Prozent nicht üppig, aber immer noch besser als die minus 0,9 Prozent, die Deutsche Bank und Co. liefern.

Überall Verlierer ist die Informationstechnik in diesem Jahr. Auch sie drückt den FTSE nur 0,25 Prozent, während Infineon und SAP den DAX um 3,3 Prozent verschlechtern. Insgesamt machen die Krisengewinner Energie, Finanzen und Gesundheit 42 Prozent des britischen FTSE aus, die nicht unter der Krise leiden. Das reicht aus, die Börse insgesamt im Plus zu halten. Dagegen ist ein einziger Sektor im DAX positiv: Kommunikationstechnik. Das ist die Deutsche Telekom, die bei fünf Prozent Gewichtung den DAX aber nur 0,8 Prozent hebt.

Nicht alle Exporte sind gleich. Für VW ist der hohe Beitrag des Chinageschäfts zum Gewinn eine Belastung, mit minus 19 Prozent in diesem Jahr handeln die Wolfsburger deshalb eher wie eine chinesische als eine deutsche Aktie.

Aber nicht alles läuft rosig für die Londoner. Der ehemals britische Chipentwickler ARM soll von seinem japanischen Eigner Softbank wieder an die Börse gebracht werden. Wie es aussieht, wird London bei der Prestigefirma gegen New York verlieren.

Trotzdem stehen die Briten allen Unkenrufen zum Trotz nach dem Brexit besser da als vermutet. Die künftige Premierministerin Liz Truss hat seit dem Brexit die Welt bereist und in wenigen Jahren 69 Freihandelsabkommen abgeschlossen, vermutlich ein Weltrekord. Nur das seit 2020 verhandelte Abkommen mit den USA macht unter dem gewerkschaftsnahen Joe Biden keine Fortschritte. Dennoch sind Trumps Strafzölle auf Stahl und Aluminium für Großbritannien bereits abgeschafft, worauf die EU noch wartet. Es ist ein Anzeichen dafür, daß, was auf politischer Ebene mit AUKUS und der Kooperation „Five Eyes“ bereits Realität ist, sich früher oder später auch als angelsächsischer Wirtschaftsraum herauskristallisieren wird.