© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/22 / 12. August 2022

Zehn-Milliarden-Euro-Ticket
Jetzt ist’s auch egal
Mathias Pellack

Das Neun-Euro-Ticket hat dem öffentlichen Nahverkehr in Deutschland den Rest gegeben. Waren die Züge vorher schon beschmiert, verdreckt und überfüllt, sind sie es durch das günstige Ticket nochmal mehr. 

Die Forderungen aus Reihen von Grünen und Sozialdemokraten, das günstige Fahrangebot für jedermann zu verlängern, kann daher nur als Warnung an jene verstanden werden, die sich nicht zweimal täglich in die Sardinenbüchsen des ÖPNV stellen wollen, um vom Schweiß der Mitfahrer mariniert zu werden.

Da kommt Christian Lindners Ablehnung jeder Art der Verlängerung – also auch wenn 69 Euro im Monat für ein Ticket nur in der Region zu zahlen seien – gerade recht, könnte man meinen. 

Wo soll das viele Geld auch herkommen, unterstützen ihn die Kolumnisten in FAZ und Welt fragend und vergessen dabei, daß die Bahn ohnehin zum Großteil vom Staat getragen wird. Zehn Milliarden Euro mehr, die das Neun-Euro-Ticket im Jahr kosten würde, machen den Kohl für das Scheinunternehmen, das tatsächlich aber ein Staatsbetrieb ist, auch nicht mehr fett. Das Geld muß in den kommenden Jahren ohnehin angefaßt werden, um den maroden Schuppen wieder auf die Beine zu stellen. Die Bahn ist schließlich offensichtlich heillos überlastet. Die Strecken sind marode und ständig im Bau. Züge sind zur Wartung im Werk, und wenn sie fahren, funktioniert trotzdem wahlweise die Tür, die Klimaanlage oder die Toilette nicht. Und der allseitige Personalmangel macht sich auch in den Zügen bemerkbar. 

Es sollte also mitnichten darum gehen, eine „Gratismentalität à la bedingungsloses Grundeinkommen“ zu bekämpfen, wie der liberale FDP-Finanzminister moniert. Vielmehr müßte endlich Geld in die Hand genommen werden und in die überkommene und veraltete Infrastruktur gesteckt werden, damit die Chance auf einen pünktlichen Fernverkehrszug mal wieder deutlich über 60 Prozent beträgt und damit auch Gütertransporte nicht mehr tagelang warten müssen, wenn mal eine Störung auf der Strecke zu einem Engpaß wird. Das macht die Bahn unattraktiv für Unternehmen, die natürlich auf die Straße ausweichen. Das Ticket fortzuführen könnte Anreiz für die Politik sein, endlich Geld für die Sanierung in die Hand zu nehmen. Andernfalls bleibt es Mist.