© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/22 / 12. August 2022

Brüssel hungert nach Chips
Halbleiterindustrie: Intel will EU-Milliarden abgreifen und eine neue Fabrik in Magdeburg bauen / Die Verteilungskämpfe laufen bereits
Paul Leonhard

Nicht mehr in Halle, sondern in der Landeshauptstadt Magdeburg wird wohl das neue Technologie-Herz Sachsen-Anhalts schlagen. Zumindest wenn der US-Konzern Intel seine ehrgeizigen Pläne umsetzt. Diese sehen eine Investition von 17 Milliarden Euro vor und sind zeitlich eng gestrickt. Im Südwesten der Stadt, im Gewerbegebiet „Eulenberg“, soll auf einer Fläche so groß wie 500 Fußballfelder im ersten Halbjahr 2023 der Grundstein für zwei Halbleiterwerke (mit der Option für sechs weitere) gelegt werden. Der Produktionsstart ist für 2027 geplant.

Die Suche nach den benötigten 3.000 Spezialisten hat begonnen. Das Personal soll vorab in anderen Fabriken geschult werden. Was Bewerbungen aus Mitteldeutschland erschweren könnte, ist weniger das geforderte technische Verständnis, sondern die gewünschten Englischgrundkenntnisse. Natürlich siedelt sich Intel nicht wegen des Magdeburger Doms dort an, sondern wegen der guten Infrastrukturanbindung, der sicheren Stromversorgung am Schnittpunkt zweier Hochspannungsleitungen, der zentralen Lage zwischen den Auto-Fabriken von VW (Wolfsburg) und Tesla (Grünheide), vor allem aber wegen der Aussicht auf Milliarden-Subventionen aus dem Bundes- und EU-Haushalt. Mit knapp sieben Milliarden rechnet Intel-Chef Patrick Gelsinger bis 2024. 2,7 Milliarden sind bereits im Bundeshaushalt 2022 eingestellt. Geld, das Intel dringend benötigt, denn die Zahlen des US-Chipriesen sehen nicht gut aus. Im vergangenen Quartal hat es einen Umsatz- und Gewinneinbruch gegeben, und Intel droht den Anschluß an die internationale Konkurrenz wie Samsung Electronics oder Taiwan Semiconductor Manufacturing zu verlieren.

Aber die Genehmigung der Subventionen setzt voraus, daß sich die EU-Länder über ein Gesetzesvorhaben einigen, mit dem 43 Milliarden Euro an Zuschüssen für die Chipindustrie verteilt werden können. Der Zeitplan der Eurokraten ist nicht so eng gesteckt wie der Gelsingers. Ziel sei es, sich im Dezember auf eine gemeinsame Position beim „European Chips Act“ zu einigen. Mit diesem will Brüssel nach den Lieferengpässen während der Pandemie die Abhängigkeit von dringend benötigten Mikrochips aus Asien und Amerika verringern und nimmt dafür Eingriffe in den Markt in Kauf. Bis 2030 soll der globale Anteil der europäischen Chipproduktion von aktuell weniger als zehn auf 20 Prozent steigen.

Aber die Begehrlichkeiten, vom 43 Milliarden-Euro-Kuchen etwas abzubekommen, sind groß. So wurde bereits in einer Anhörung des zuständigen EU-Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie die derzeit von der EU-Kommission geplante Verteilung der Gelder von Abgeordneten verschiedener Länder als weder fair noch effizient kritisiert. Eine Einigung Anfang 2023 gilt als „sehr ambitioniert“. Andererseits sind die Investitionen im Vergleich zu den in den USA geplanten acht neuen Intel-Chipfabriken für rund 100 Milliarden Dollar überschaubar. Bezüglich der Fachkräfte setzt Intel zum einen auf die Tradition Magdeburgs als Zentrum des Maschinenbaus, zum anderen auf die Hochschulen in Mitteldeutschland. Ab dem Wintersemester 2023 bietet die Universität Magdeburg zwei neue, paßgenaue Studiengänge im Bereich Halbleitertechnologie an.

Geplante Industrieansiedlungen rufen in Deutschland stets auch Gegner auf den Plan. In Magdeburg geht es um die landwirtschaftlich hochwertigen Bördeböden und den Entzug von Wasser aus der Elbe. Für die Halbleiterproduktion wird viel Wasser benötigt. Im Mai besichtigte deswegen eine Delegation aus Sachsen-Anhalt das Wasser- und Energiemanagement in der Intel-Produktion im irischen Leixlip. Anschließend stimmte der Stadtrat dem Bebauungsplan einstimmig zu.