© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/22 / 12. August 2022

Fliegende Untertasse gesichtet!
Kino: Im Science-fiction-Film „Nope“ gibt es eine unheimliche Begegnung der dritten Art – und viel Plastikmüll
Dietmar Mehrens

Nö.“ Oder: „Nix da.“ So könnte man das umgangssprachliche „Nope“ aus dem Englischen übersetzen. Das im Gegensatz zu seiner flippigen Schwester Emerald (Keke Palmer) eher einsilbige Landei O. J. Haywood (Daniel Kaluuya) bekundet damit gelegentlich seine Entschlossenheit, ein Gespräch nicht zu lang oder eine Begegnung nicht zu intensiv werden zu lassen. Daß es sich dabei auch um eine Begegnung mit Außerirdischen handeln könnte, dafür spricht zunächst nichts in „Nope“. Und das hat Methode: Genüßlich baut Jordan Peele erst mal Spannung auf, schildert banale Alltagsverrichtungen, läßt den Tod auf leisen Sohlen kommen. Darin gleicht der Science-fiction-Streifen dem ebenfalls in Kalifornien angesiedelten Milieufilm „Es war einmal in Hollywood“ (2019) .

Wie Western-Ikone Clint Eastwood in seinem letzten Werk „Cry Macho“ (2021) ist der Vater von O. J. und Emerald Pferdezüchter mit eigener Ranch. Die Pferde sind für Hollywood-Produktionen vorgesehen. Aber die Geschäfte laufen trotz des eloquenten Einsatzes von Emerald schleppend: Die Haywoods müssen sich mit Engagements für kleine Werbe- und TV-Aufnahmen oder eine mittelmäßig besuchte Rodeo-Show begnügen.

Dem Film steht eine biblische Untergangsprophetie voran

Unvermittelt auftretende Strom- und Telefonausfälle, merkwürdige Lichtspuren am Himmel, eine Wolke, die sich nicht bewegt: Oscar-Gewinner Peele, der sich bereits mit „Get Out“ (2017) als Meister des subtil und ironisch inszenierten Grauens im Filmmekka etabliert hat, geht bei der Verabreichung von Indizien für extraterrestrische Einflüsse vor wie ein Mediziner, der die Überdosis mehr fürchtet als die Krankheit, ehe er die ersten unmißverständlichen Symptome einer unheimlichen Bedrohung über der Haywood-Ranch niederprasseln läßt. Buchstäblich, denn es hagelt kleine Metallteilchen. Otis Haywood, der Vater von O. J. und Emerald, wird von einem der Teile tödlich getroffen. Die beiden Geschwister lassen Überwachungskameras installieren, um auf Nummer Sicher zu gehen. Die haben bald die erste Bildstörung. Und von da ab ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die erste fliegende Untertasse gesichtet wird. 

Peele, der auch das Drehbuch schrieb, hat seinen Film intelligent aufgerüstet: In einem Nebenstrang, der 1998 spielt, geht es um den durchdrehenden Film-Schimpansen Gordy, der sich aufführt, als hätte er zu viele „Planet der Affen“-Filme gesehen. Das Grauen, soll uns das wohl sagen, benötigt nicht die Gestalt extraterrestrischer Invasoren, um uns heimzusuchen. Manchmal ist es einfach die Natur, die zurückschlägt. Oder handelt es sich um ein Gericht Gottes, der die Menschheit für ihre Hybris züchtigt wie einst Ninive? Dafür spricht die biblische Untergangsprophetie, die dem Film voransteht: „Ich werfe Unrat auf dich, schände dich und mache ein Schauspiel aus dir“ (Nahum 3,6). Daß Unrat in Gestalt von Plastikmüll in diesem Film eine handlungsentscheidende Rolle spielt, lädt auf jeden Fall ein zu einer Reihe spekulativer Interpretationen.

Der Verleih und seine PR-Agentur geben sich jede erdenkliche Mühe, „Nope“ als abgründig und innovativ zu verkaufen. In Wahrheit kupfert Jordan Peele aber vor allem geschickt ab von Genre-Vorbildern wie dem Steven-Spielberg-Klassiker „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ (1977), M. Night Shyamalans „Signs“ (2002) oder Ron Underwoods „Im Land der Raketenwürmer“ (1990). Letzterer ist in „Nope“ besonders präsent. Denn mit dem Raketenwürmer-Drama teilt Peeles SF-Spektakel nicht nur den staubtrockenen Hinterlandschauplatz, sondern auch den staubtrockenen Humor, der zuweilen die Grenze zur Genreparodie überschreitet.

Der eigentliche Gewinner des Films (abgesehen von Gordy) ist aber Daniel Kaluuya als wortkarg-nonchalanter O. J.: ein Schwarzer, der auch im Angesicht universeller Bedrohungen stoisch gelassen bleibt. Er bildet einen höchst willkommenen Kontrast zu den hysterisierten „White Supremacy“-Demagogen und „Black Lives Matter“-Randalierern, deren Exzesse die USA in den letzten Jahren immer wieder erschüttert haben.

Kinostart ist am 11. August