© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/22 / 12. August 2022

Filmkritik Freaks
Sympathie für Andersartige
Werner Olles

Tod Browning („Dracula“, 1930) drehte 1932 einen Film, der die Spielregeln des Horror-Genres umzukehren schien. In „Freaks“, inzwischen zum Kultfilm avanciert, ist die schöne, junge Cleopatra (Olga Baclanova) Trapezkünstlerin in einem kleinen, schäbigen Zirkus, dessen Attraktion hauptsächlich darin besteht, den Besuchern eine Sammlung Menschen mit Fehlbildungen und Behinderungen zu präsentieren: Liliputaner, Siamesische Zwillinge, einen Zwitter, eine bärtige Dame, einen Jungen ohne Unterleib, einen lebenden Torso und ein Vogelmädchen. Hans (Harry Earles), ein Liliputaner, ist mit der ebenfalls kleinwüchsigen Frieda (Daisy Earles) verlobt, fühlt sich aber zu Cleopatra hingezogen, die jedoch in Wirklichkeit die Geliebte des Athleten Herkules (Henry Victor) ist. Eine Weile spielt sie mit Hans ein grausames Spiel, bis sie entdeckt, daß er über beträchtliche Geldmittel verfügt. Darauf faßt sie den Plan, Hans zu heiraten und ihn dann zu vergiften, um an sein Geld zu gelangen. Bei der Hochzeit kann sie jedoch ihren Spott und Abscheu nicht unterdrücken und erniedrigt ihn vor den Augen der anderen. Nun erkennen die Freaks die Wahrheit und schließen sich zusammen, um Hans zu schützen und sich zu rächen …

In Tod Brownings „Freaks“ wird eine Gruppe von „Fehlgebildeten“ zu Rächern, denen der Zuschauer jedoch Sympathie und Verständnis entgegenbringt. Der außergewöhnliche Film unterstreicht vor allem die Solidarität unter den Freaks. Das Schöne, Gesunde, Normale ist hier das wirklich Monströse, und Olga Baclanova erscheint als Cleopatra in ihrer aggressiven Vitalität und Sinnlichkeit wie ein reißendes Tier. Die Darsteller der Freaks – und dies macht erst die Wirkung des Films aus – sind echte Zirkus-Freaks, die sich selbst spielen.

„Freaks“ wurde im übrigen nachträglich gekürzt und neu montiert, von den ursprünglich 90 Minuten blieben 62 übrig. Wegen der Proteste der Presse und der Frauenvereine wurde der Film dann zurückgezogen und erst 1963 in England wieder aufgeführt. Browning wurde nicht nur als Klassiker des Horror-Films entdeckt, sondern auch als humanistisch geprägter Filmemacher mit großen Sympathien für Außenseiter und Ausgestoßene. Die Schlußszene zeigt Frieda in Begleitung eines Clowns und einer schönen Zirkusdame, die beide keine Freaks sind, diesen aber immer mit Respekt und Freundlichkeit begegnet sind.

DVD: Freaks. Pidax Film-Klassiker. Laufzeit etwa 62 Minuten