© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/22 / 12. August 2022

Dieser Hauptstadt würdig
Verdacht der Untreue und Vorteilsnahme: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen zurückgetretene ARD-Chefin und RBB-Intendantin
Markus Schleusener

Der RBB steht vor einem Scherbenhaufen. Intendantin Patricia Schlesinger, die angetreten war, um aus der kleinen Rundfunkanstalt „den Hautstadtsender“ schlechthin zu machen, mußte zurücktreten. Was folgte, war eine Debatte über die Zerschlagung des Senders. 

Brandenburg ginge laut eines ARD-Geheimplans an den MDR, der NDR (Sitz: Hamburg) würde Berlin übernehmen. Was für eine Schmach für die deutsche Hauptstadt! Der RBB bezeichnet die Affäre als „größte Krise seit Gründung des Senders“. In den letzten zwei Wochen hatte Patricia Schlesinger nichts unversucht gelassen, um im Amt bleiben zu können. Den Aufschlag hatte ein Interview im Tagesspiegel gemacht, in dem sie bekundete, „die Aufklärung der Vorwürfe lückenlos vorantreiben“ zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt waberten die Gerüche über Interessenkonflikte bereits seit einem Monat umher. Die Interview-Leser erfuhren, daß Schlesinger bereit sei, auf einen Teil ihres Gehaltes von 303.000 Euro zu verzichten. Und daß die 41.000 Euro Beratergehalt für ihren Mann nun auf einem Treuhandkonto seien, weil „alles sauber sein müsse“.

Champagner für 83 Euro stachelt die Presse an

War es das also nicht? Im Zuge der Affäre kam eine Vielzahl von Dingen ans Licht, die im einzelnen harmlos erscheinen. Zusammen zeigen sie jedoch ein System der Selbstbedienung auf. Es ging zunächst um drei Dinge. Erstens: Die Kosten für eine geplante Senderzentrale drohen aus dem Ruder zu laufen. Statt 60 Millionen Euro stand plötzlich die Zahl 185 Millionen Euro im Raum – für weniger Platz als bisher. Das Medienhaus sollte 2026 eingeweiht werden. Der Sender legte die Pläne auf Eis. Zweitens: Mehrere Beraterverträge legen den Verdacht nahe, daß Freunde und Bekannte auf Kosten von Steuer- oder Beitragszahlern ausgehalten werden. Der spektakulärste Fall ist Schlesingers Ehemann, der frühere Spiegel-Journalist Gerhard Spörl. Drittens: Patricia Schlesinger hat während der Corona-Zeit mehrere Empfänge in ihrer privaten Wohnung gegeben und die Kosten dafür über den Sender abgerechnet. Die Treffen, deren Teilnehmer von ihr zunächst geheimgehalten wurden, sollten der Vernetzung des RBB dienen.

Gerade diese Partys stachelten die Phantasie der Boulevardpresse („Champagner der Marke Veuve Clicquot für 83 Euro“) an. Schlesinger bezifferte die Kosten zunächst auf 23,12 bis 56,53 Euro pro Gast. Die Intendantin hat in einem Podcast im Frühjahr gesagt: „Daß man uns kontrolliert, was Finanzen und inhaltliche Ausrichtung angeht, finde ich richtig. Wir haben öffentliches Geld.“ Ob sie wirklich mit dieser akribischen Kontrolle gerechnet hat?

Ihre PR-Offensive in Form des Tagesspiegel-Interviews flankierte die Senderchefin, die früher beim NDR-Magazin „Panorama“ gearbeitet hat, mit der Aufklärung im Haus. Bis zu fünf Anwälte einer auf Wirtschaftsfragen spezialisierten Kanzlei sollen mit ihren Mitarbeitern im Sender Unterlagen gesichtet haben. Das Ergebnis steht ebenso aus wie das Ermittlungsverfahren gegen Schlesinger, ihren Mann und den Chef des RBB-Verwaltungsrates Wolf-Dieter Wolf. Zeitgleich reagierte sie auf die aus der Belegschaft vorgetragene Kritik, es herrsche ein Klima der Angst im Sender, heißt es. Ein Whistleblower-System wurde eingerichtet, um Hinweisgebern die Chance zu geben, anonym Verstöße zu melden. Der Sender heuerte den Medienanwalt Christian Schertz an, um die Verbreitung von Unwahrheiten zu unterbinden.  Möglicherweise mit Erfolg: Mehrere Medienberichte zu diesem Thema wurden nachträglich korrigiert. Allerdings waren es immer nur Kleinigkeiten, die geändert werden mußten. Vielleicht hätte die 61jährige die Affäre gerade so durchstehen können. Drei Tage zuvor waren sie und zwei Vertraute nicht im Potsdamer Landtag erschienen. Dieser hatte auf Antrag der AfD, die auch die Strafanzeige gestellt hatte, das Thema RBB auf die Tagesordnung gesetzt. Daß Schlesinger die Aussage verweigerte, verärgerte die Landespolitiker parteiübergreifend. Mit den Tagesspiegel-Journalisten sprach sie hingegen schon. Ihr Rückhalt in der Politik begann zu bröckeln. Und auch bei den anderen Senderchefs begann das Stirnrunzeln. Schlesinger war ja seit Jahresbeginn zusätzlich ARD-Chefin. Hinter den Kulissen soll ihr Vorgänger WDR-Chef Tom Buhrow Konsequenzen verlangt haben. Entnervt warf Schlesinger vor einer Woche hin und trat vom ARD-Vorsitz zurück. Buhrow übernahm interimsweise wieder das Amt.

Es war ein Rücktritt auf Raten. Schlesinger mußte weitere Details über sich in der Presse lesen – wie etwa die Tatsache, daß sie einen Luxus-A8 mit Massagesitzen im Wert von 145.000 Euro als Dienstwagen nutzte, für den der Sender aber nur einen Freundschaftspreis bezahlte. Am vergangenen Wochenende dann die letzte Welle von Veröffentlichungen: Schlesingers Ehemann sei auch mit dem Wagen herumkutschiert worden. Die Senderchefin habe private Besorgungen damit erledigen lassen. Der Sender habe ihr einen fünfstelligen Geheimbonus bezahlt wegen der Steuerlast, die der teure Dienstwagen mit sich bringt. Dazu ein Edelparkett im Büro für 16.783,82 Euro und der Umbau der Chefetage für insgesamt 1,4 Millionen Euro. Darin enthalten ist laut Bild eine „Pflanzenwand mit automatischer Bewässerung.“

Der Rundfunkrat begann erst nach Schlesingers Rücktritt zu agieren

Schlesinger war am Sonntag nicht mehr zu halten. Sie teilte den Rundfunkratsmitgliedern mit, daß sie ihren Posten räumen wolle. Gleichzeitig will sie aber ihre Altersbezüge nicht gefährden. Die Bedingungen ihres Ausscheidens dürften in den kommenden Monaten weitere Anwälte beschäftigen. Neben der Intendantin hat der Rundfunkrat eine besonders schwache Figur abgeben. Öffentliche Kritik kam von den 30 Mitgliedern erst nach Schlesingers Rücktritt.

Und doch sind sie es, die jetzt über die Neubesetzung zu entscheiden haben werden. Viele aus diesem Gremium wurden von Parteien und regierungsnahen Organisationen in das Gremium entsandt. Als Favoritin gilt derzeit die Grünen-nahe ARD-Journalistin Tina Hassel. Schlesinger selbst war 2016 nach mehreren Wahlgängen in einer Kampfkandidatur gegen Theo Koll vom ZDF ins Amt gekommen.

Dort hat sie sich offenbar Feinde gemacht, die sie mit gezielten Indiskretionen zu Fall brachten. Besonders brisant waren E-Mails der RBB-Chef­etage im Zusammenhang mit dem Dienstwagen. Wer könnte die Informationen weitergegeben haben? Schlesinger lag seit Jahren im Clinch mit den freien Mitarbeitern, die vom Personalrat vertreten werden wollten. Zu Ostern streikten viele sogar, so daß der Sender sein Programm reduzieren mußte. Verdi begrüßte den Rücktritt der Senderchefin. Denkbar, daß einer oder mehrere Personen gezielt Informationen weitergegeben haben.

Wer immer diese pikanten Fakten an das Medium Business Insider (gehört zu Axel Springer) getragen hat, er hat nicht nur am Stuhl der Intendantin gesägt. Jetzt steht die Existenz der Sendeanstalt zur Disposition.

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