© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/22 / 12. August 2022

Die Generalprobe endete im Fiasko
Die alliierte Landeoperation an der Kanalküste im franzöischen Dieppe wurde von der Wehrmacht im August 1942 blutig zurückgeworfen
Alexander Graf

Die „Operation Jubilee“ gehört zu den weniger bekannten des Zweiten Weltkrieges. Unter dem Decknamen sollten alliierte Truppen im August 1942 die nordfranzösische Stadt Dieppe an der Kanalküste besetzen und vorübergehend halten. 

Die Planer verfolgten dabei nicht das Ziel, einen Brückenkopf zur Eröffnung einer Westfront gegen das Dritte Reich zu schaffen. Vielmehr sollte der Angriff ein Test sein, von dem man sich Rückschlüsse über die deutsche Verteidigungstaktik erhoffte. Zudem sollte so ein Gegenangriff der deutschen Luftwaffe provoziert werden, um die deutschen Flieger zum ersten Mal seit der Luftschlaft um England 1940 wieder in einen großen Kampf zu verwickeln. So der Plan.  

Doch als sich die rund 7.500 zumeist kanadischen Soldaten, unterstützt von US-amerikanischen und britischen Kommandoeinheiten und Exilpolen, per Schiff auf den Weg über den Kanal machten, trafen sie in den frühen Morgenstunden des 19. August auf einen deutschen Konvoi. Es folgte ein Gefecht, in dem die deutschen Einheiten vernichtet wurden. Doch zuvor gelang es ihnen, die Küstenverteidigung zu alarmieren. Das Überraschungsmoment der Alliierten war dahin. Doch statt das Unternehmen abzubrechen, landeten die Angreifer am Strand von Dieppe. Dieser war allerdings nur im unmittelbaren Bereich der Stadt für amphibische Landeoperation geeignet. Im Osten und Westen der Hafenstadt erhoben sich Steilküsten, die für schweres Gerät unpassierbar waren und deshalb kein kurzfristiges Ausweichen der Operation vor einer starken Verteidigung ermöglichten. Die deutsche Garnison und die Befestigungswerke in Dieppe wurden zudem nur viel zu kurz von einigen Zerstörern und Jagdbombern beschossen, so daß die dort stationierte Küstenartilleriegarnison der 302. Infanteriedivision nicht nur alarmiert, sondern ihre Stellungen fast unbeschädigt waren. 

Die alliierten Soldaten gerieten sofort unter Mörserbeschuß und schweres MG-Feuer. Die unter schweren Verlusten leidenden anlandenden Truppen waren wie am Strand festgenagelt, der zudem durch die aufziehende Flut immer enger wurde. Verwundete Soldaten wurden vom Wasser ins Meer gerissen und ertranken reihenweise. Der überlebende kanadische Gefreite Jack Poolton schilderte später das Chaos: „Da schwammen Stiefel mit Füßen drin, da waren Beine. Und Fleischstücke. Und Köpfe. Das war mein Regiment. Das waren die Jungs, mit denen ich die letzten zweieinhalb Jahre zusammengelebt hatte.“ Auch die zur Unterstützung der Infanterie vorgesehenen neuen Churchill-Panzer fuhren sich entweder im Kies des Strandes fest oder blieben in Sperranlagen stecken. So konnten die deutschen Verteidiger sie fast alle zerstören. Weil die Funkverbindung der Angreifer gestört war, konnten sie ihrer Führung keine Meldung über die Situation am Strand machen. Ohne ein Bild von der Lage vor Ort schickten die Verantwortlichen um Vizeadmiral Louis Mountbatten weitere Männer in das aussichtslose Gefecht. Erst gegen 10.50 Uhr brachen die Alliierten den Angriff ab. 

Die Bilanz war aus ihrer Sicht verheerend. Sie zählten 1.180 Tote, 2.190 ihrer Soldaten gingen in deutsche Kriegsgefangenschaft. Die Wehrmacht hatte hingegen nur 310 Tote und 280 Verwundete zu beklagen. Auch der Plan, die deutsche Luftwaffe zum Kampf zu stellen und schwer zu treffen, war gescheitert. Die britische Royal Air Force verlor 119 Flugzeuge. Das waren fast doppelt so viele im Vergleich zu den 74 abgeschossenen Maschinen der Luftwaffe. 

Beide Seiten arbeiteten die „Operation Jubilee“ umgehend auf. Konsequenzen hatte diese für die alliierten Kommandeure nicht. Einige britische Historiker ordneten später dieses Desaster als „Triumph der Eitelkeit, des Eigensinns und des Ehrgeizes“ ein, weil Mountbatten und die kanadischen Generäle darauf brannten, in dieser Phase des Weltkriegs ihre Männer endlich im Einsatz zu sehen. Mountbatten behauptete dagegen später, der Angriff auf Dieppe sei als notwendiges Opfer der späteren Invasion in der Normandie einkalkuliert worden. Ähnlich sah es auch der deutsche Oberbefehlshaber West, Gerd von Rundstedt: „Ebenso wie wir aus dem Tag von Dieppe wertvollste Erfahrungen gesammelt haben, genau so hat sie der Feind gesammelt. Ebenso wie wir die Erfahrungen nun für die Folgezeit auswerten, genau so wird es der Feind tun, vielleicht sogar noch mehr, da er seine Erfahrungen teuer erkauft und sehr bitter bezahlt hat.“