© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/22 / 12. August 2022

Die Lage ist nicht hoffnungslos
Das Projekt „Feldhamsterland“ versucht sich an der Rettung der deutschen Bestände
Dieter Menke

Neben Rebhuhn, Hase, Grauammer und einer Unzahl von Insektenarten zählt der Feldhamster zu den großen Verlierern der industriellen Landwirtschaft. Früher überall zu Hause und sogar als Plage angesehen, gehört er heute, nach dem Rückgang des Bestandes um 95 Prozent, zu den seltensten Säugetieren Deutschlands. Wie konnte es dazu kommen?

Der Biologe Tobias Erik Reiners, europaweit renommierter Experte für den Schutz des sympathischen Nagers, mit dem er sich seit 2007 wissenschaftlich beschäftigt und über dessen Populationsgenetik er 2019 seine Doktorarbeit schrieb, zählt für den Niedergang drei Gründe auf: Erstens erfolgt die Ernte der Felder zu früh, zu schnell und zu gründlich. Im Frühjahr und Herbst fehlt es dem Feldhamster deswegen vielerorts an Deckung, so daß er zur leichten Beute für Freßfeinde wird. Ein zusätzliches Handicap ist die Fortpflanzungszeit von Mai bis Juli, wenn Weibchen und Jungtiere Schutz benötigen (Senckenberg. Natur – Forschung – Museum, 4-6/22). Für Reiners ist diese Zeit zu kurz, um genügend Junge durchzubringen. Zweitens seien Monokulturen und massiver Pestizideinsatz dafür verantwortlich, daß Ackerwildkräuter und Insekten zunehmend Seltenheitswert haben. Beides brauchen die Hamsterweibchen zur Aufzucht ihres Nachwuchses, der wie wir Menschen auf Vitamine und Proteine angewiesen ist. Und drittens haben Lebensraumverlust und Landschaftszerschneidung durch Bauvorhaben die Populationen soweit geschrumpft, daß sie genetisch verarmen und mit Inzucht kämpfen. Die sie wiederum für Umweltveränderungen anfällig mache und den Fortpflanzungserfolg beeinträchtige.

Es sieht also eher düster aus für die Zukunft des deutschen Feldhamsters. In Baden-Württemberg Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Sachsen sind die Wildpopulationen bereits ausgestorben. In Rheinland-Pfalz, Hessen, Niedersachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt existieren lediglich „Insel-Bestände“. Trotzdem meint Reiners, die Lage sei zwar sehr ernst, aber nicht hoffnungslos. In Hessen etwa, im Opel-Zoo und in Langenöls bei Gießen, würden die letzten ihrer Art in Erhaltungszuchten gerettet. Einige Tiere seien schon wieder im Freiland ausgewildert worden.

Noch mehr Honig für seinen verhaltenen Optimismus saugt Reiners aus dem von ihm 2018 am Standort Gelnhausen der Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung gestarteten deutschlandweiten Projekt „Feldhamsterland“. Mit tatkräftiger Hilfe vieler „Bürgerwissenschaftler“ werden dabei den Tieren verbliebene Lebensräume kartiert. Allein 2021 haben 100 Freiwillige 4.500 Hektar Ackerfläche erfaßt und 3.000 Feldhamsterbaue aufgespürt. Insgesamt finden sich jetzt 16.000 Nachweise in Reiners’ Datenbank, dem „Feldhamsteratlas“. Dieses präzise Lagebild ist die Basis für die Erarbeitung und Planung von Schutzmaßnahmen. Die Situation des Feldhamsters hält der Experte gerade wegen des Mut machenden Engagements seiner „Kartierungshelfer“ nicht für aussichtslos. Vorausgesetzt, man schaffe auch unter Landwirten ein ähnliches Bewußtsein für die tiefe Biodiversitätskrise in der Agrarlandschaft, die vom Verschwinden des Symboltiers Feldhamster angezeigt werde.


 www.feldhamster.de