© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/22 / 12. August 2022

Wissen als Ziel
Fünf deutsche Fachgesellschaften bewerben die Grundlagenforschung in Deutschland
Tobias Albert

Deutschlands Ruf als Wissenschaftssnation reicht weit zurück, denn schon bei der ersten Nobelpreisvergabe 1901 wurden die Preise für Physik und Medizin an die Deutschen Wilhelm Conrad Röntgen und Emil von Behring verliehen. Daß die großen mathematisch-naturwissenschaftlichen Fachgesellschaften Deutschlands allerdings ein Positionspapier veröffentlichten, in dem sie für die Stärkung der Grundlagenforschung plädieren, wirft die Frage auf, wie es um den deutschen Wissenschaftsstandort bestellt ist. Gleichzeitig stellt der Nationale Bildungsbericht fest, der Trend zur Akademisierung „ist vorerst zum Stillstand gekommen“. Wie steht es also um das Land der Dichter und Denker?

Die fünf Fachgesellschaften der deutschen Geowissenschaftler, Mathematiker, Physiker, Chemiker und Biologen haben in einem gemeinsamen Positionspapier mehrere Thesen zur Situation der Grundlagenforschung in Deutschland formuliert. Hintergrund ist eine Aktion der Unesco, die das „Internationale Jahr der Grundlagenwissenschaften für nachhaltige Entwicklung“ ausgerufen hat. Insgesamt nennt die Unesco sechs Schwerpunktthemen, die in dem Positionspapier meist wohlwollend kommentiert werden.

An erster Stelle die Grundlagenforschung als „Quelle von Dialog und Frieden“, da durch den internationalen Austausch von Wissen die friedlichen Kontakte zwischen den Staaten gestärkt werden. In der Tat sind gerade die aufwendigen Großprojekte der Grundlagenforschung wie zum Beispiel das CERN oder die ISS, die kein Staat im Alleingang stemmen kann, Paradebeispiele für friedliche internationale Zusammenarbeit.

Als zweiter Punkt fordert das Positionspapier eine Unterstützung des „Open Access“-Modells, nach dem die Ergebnisse von Forschungsarbeiten gratis der Weltöffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden sollen, anstatt von den publizierenden Fachzeitschriften hinter hohen Gebühren versteckt zu werden. Hier kommt auch Kritik an der weitreichenden Forderung der Unesco, eine „generelle Durchsetzung“ des Open Access zu erreichen, da die fünf deutschen Gesellschaften die berechtigte Frage nach dem Recht der Forscher an ihrem geistigen Eigentum stellen. Daß Forschungsergebnisse auch „von autoritären Staaten mißbraucht oder von Dritten widerrechtlich kommerzialisiert werden“ können, setzt ebenso ein berechtigtes Fragezeichen an die Unesco-Pläne.

Nationaler Bildungsbericht sorgt sich um die Akademisierung

Der dritte Punkt kritisiert, daß der Begriff „Innovation“ allzu oft mit der wirtschaftlichen Verwendbarkeit von Wissenschaft gleichgesetzt wird, was die Grundlagenforschung in ihrer Wichtigkeit zurückstelle. Die deutschen Gesellschaften ergänzen hierzu, daß das Bewußtsein dafür geschaffen werden müsse, daß Forschung ergebnisoffen sei und daher die Widerlegung einer Hypothese nicht als „Scheitern eines Forschungsprojekts“ gewertet werden dürfe. Als vierter Punkt schließt sich daran die Forderung, „Methoden und Ergebnisse“ der Grundlagenforschung stärker in der Schulbildung zu verankern.

In den beiden letzten Punkten zeigt sich aber die typische Weltanschauung, von der globale Organisationen wie die Unesco durchsetzt sind: Als fünfter Punkt wird die Bedeutung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen für die „Bewältigung globaler Herausforderungen“, namentlich der Corona-Pandemie sowie des Klimawandels, betont, bevor als sechster Punkt gefordert wird, Diversität sichtbar zu machen, „insbesondere für den Beitrag von Wissenschaftlerinnen“. Daß sich die Liste der Unesco-Schwerpunkte somit sukzessive vom eigentlichen Wesensgehalt der Grundlagenforschung, nämlich dem rein erkenntnis- und neugierdegetriebenen Wunsch, die Welt besser zu verstehen, entfernt hat, um schlußendlich bei hochgradig angewandter Forschung für globale Mega-Projekte und Diversity-Quoten zu landen, lassen die fünf Fachgesellschaften unkommentiert.

Gleichzeitig sorgt der Nationale Bildungsbericht für Aufsehen, der konstatiert, daß die Akademisierung sich bei einem Niveau von 45 Prozent Studienanfängerquote eines Jahrgangs stabilisiert habe. Seit Jahren besteht der Fachkräftemangel nicht mehr unter Akademikerberufen, sondern unter den ausgebildeten Facharbeitern und Handwerkern. Wer sich hierbei eine Entlastung erhofft, wird jedoch im Bildungsbericht enttäuscht, da die Ausbildungszahlen einen neuen Tiefpunkt erreichen.


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