© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/22 / 12. August 2022

Erst unsittlich, später befreiend
Nackt am Baggersee und am Ostseestrand – die FKK-Bewegung sorgt immer wieder gern für Zündstoff
Paul Leonhard

Erfrischendes Naß lockt bei sengender Hitze und keine Badesachen dabei? In Deutschland ist das kein Problem: Schnell aus den Kleidern geschlüpft und ab ins kühlende Wasser. Nacktbaden ist an frei zugänglichen Badestätten häufig ohne Einschränkungen erlaubt, und da – aus versicherungstechnischen Gründen – an Baggerseen das Baden offiziell verboten ist, aalt sich ohnehin jeder in der Sonne, wie er es möchte: im schicken Badeanzug, oben ohne oder wie von Gott geschaffen. Die Deutschen gelten als Weltmeister im Nacktbaden. Nach einer Studie hat sich jeder dritte schon einmal nackt in der Öffentlichkeit gezeigt. Wobei seit einigen Jahren offenbar Jugendliche und junge Erwachsene an den Ufern eher züchtig bekleidet sitzen, während sich die Älteren und Alten ungeniert im Adamskostüm präsentieren und so den nachfolgenden Generationen präsentieren, wie auch sie sich einmal verändern werden. 

Ein Ästhet wie Johannes R. Becher, einst Dichter des Expressionismus, soll in späteren Jahren als DDR-Kulturminister eine Nacktbadende mit den Worten angeschrien haben: „Schämen Sie sich nicht, Sie alte Sau?“

Interessanterweise steht das Nacktbaden auch am Anfang der Bademodegeschichte, wie Horst Prignitz in seinem Buch „Vom Badekarren zum Strandkorb“ erzählt: „Die Badeärzte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vertraten übereinstimmend den Standpunkt, daß Badekleidung für die Kur schädlich ist.“ Wie einst in Warnemünde gebadet wurde, beschreibt Carl Hanmann 1843: „Man lief nackt oder von einem leinenen, weiten Mantel oder von einer anderen Bekleidung leicht verhüllt, in Kreisen auf dem Küstensande oder längs des Ufers dicht am Wasser fort.“

 Erst als es in den größeren Badeanstalten um das Gesehenwerden und Auffallen ging, begann die Bademode eine Rolle zu spielen. Nacktbaden galt fortan als unsittlich und die Bekleidungsvorschriften wurden immer prüder.

 Während der Staat seinen Bürgern an den öffentlichen Stränden und in den Badeanstalten Vorschriften machte, etablierte sich ab den 1920er Jahren eine Gegenbewegung, die die Freikörperkultur propagierte und sich in Vereinen organisierte. Die Mitglieder erlebten die gemeinschaftlich praktizierte Nacktheit als befreiend, schworen auf die gegenseitige Akzeptanz und das positive Körperbild sowie die Freude am Erlebnis der Natur, am Nacktsein selbst ohne sexuellen Bezug oder der Realisierung von Freiheit.

 Die Kommunisten in der DDR standen der Nudistenbewegung anfangs skeptisch gegenüber. Als einige Ostseegemeinden in den 1950er Jahren das Nacktbaden verboten, gab es Widerstand, Textilbader wurden „zwangsentkleidet“ und an Bäume gebunden. Daß Ost-Berlin schließlich ein Nacktbadeverbot über die gesamte Ostseeküste verhängte, war einem Artikel des Spiegels geschuldet, der genüßlich über den „Höschenkrieg“ berichtet hatte. Doch die Proteste waren so groß, daß das generelle Verbot wieder aufgehoben und die Verantwortung an die örtlichen Organe delegiert wurde.

Der deutsche FKK-Verband erfreut über Mitgliederzuwachs

In Ost und West nahmen sich die Deutschen ab Anfang der 1970er Jahre das Recht, dort nackt zu sein, wo es nicht explizit verboten war. Mit der Wiedervereinigung flammten die Konflikte noch einmal auf, als westdeutsche Sommergäste pikiert auf die Nackten am Ostseestrand in Mecklenburg-Vorpommern reagierten. Längst haben sich die Gemüter wieder beruhigt, und Ulrike Toepper vom Deutschen Verband für Freikörperkultur (DFK) frohlockt im Gespräch mit der Berliner Morgenpost: „Viele Vereine vermelden großen Zulauf von neuen Mitgliedern, das gleiche bemerken wir bei unseren DFK-Mitgliedern. Es scheint also so zu sein, daß die FreiKörperKultur wieder wächst. Es haben sich gerade sogar zwei neue Vereine gebildet, ebenfalls Zeichen, daß es ein Trend werden könnte.“

Auf Rügen, der größten deutschen Insel, gibt es zwölf offizielle und unzählige inoffizielle FKK-Strände. Auch auf Usedom finden sich insgesamt zehn Nacktbadestrände. „Da sich einige Zeitgenossen an der Nacktheit ihrer Mitmenschen stören, befinden sich Usedoms FKK-Strände zumeist etwas abseits besonders belebter Punkte wie beispielsweise den Seebrücken, den zentralen Strandabgängen oder den größeren strandnahen Wellnesshotels“, erklärt die Online-Infoseite Ostsee-Urlaub-Usedom.info. die übliche Problematik. 

Mitte Juli kochte dann mal wieder die Volksseele hoch. „Es gibt Ärger am Strand von Warnemünde – zwischen FKK-Anhängern und Hundehaltern. Der Grund: In dieser Saison gilt erstmals eine neue Strandsatzung“, meldet die Ostsee-Zeitung (OZ).Textilfreies Strandleben sei nun nur noch zwischen den Aufgängen 18 und 22b des Strandes vorgesehen. Der bisher zweite Nacktbadebereich (25 bis 38) sei in einer neuen Mischzone aufgegangen, in der sich die Badegäste mit oder ohne Badehose oder Bikini sonnen können. Dieser Mixbereich befindet sich zwischen den Aufgängen 23 und 38. Hundefreunde, so die OZ weiter, könnten sich dagegen „über mehr Platz zum Toben und Graben für ihre vierbeinigen Begleiter freuen. Der neue Hundestrand wurde deutlich größer und rückte aus Diedrichshagen näher in Richtung Zentrum. Was die Sache verkompliziert: Er liegt zwischen den Aufgängen 27 und 31 und damit mitten im neuen FKK-/Textil-Mischgebiet.“

Wenn der linke Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi, der auch in diesem Sommer gutbesuchte Lesungen in den Badeorten Usedoms hält, einschätzt, daß „FKK für Selbstbewußtsein und den Ausbruch aus gesellschaftlichen Zwängen“ steht, zeigt das die Wandlungsfähigkeit der Kommunisten, wenn sie nicht mehr an der Macht sind. Denn Genosse Kulturminister Becher sah das ganz anders. Aber auch er hatte anschließend ein Problem. Die von ihm als „alte Sau“ betitelte Nackte war niemand anderes als die Schriftstellerin Anna Seghers, der er kurz darauf den Nationalpreis erster Klasse überreichen mußte. Die „liebe Anna“ soll deutlich hörbar erwidert haben: „Für dich immer noch die alte Sau.“