© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/22 / 19. August 2022

Ralf Schuler gehört zu den wenigen Bild-Journalisten, die dem Blatt noch Charakter verleihen. Doch nun schmeißt er hin.
„Nicht mehr mittragen“
Helmut Matthies

Die Bild-Zeitung hat schon viele Prominente in Nöte gebracht. Jetzt ist Deutschlands auflagenstärkste überregionale Tageszeitung selbst in Not: Einer ihrer wirkungsvollsten Redakteure will sie verlassen: Ralf Schuler, geboren 1965 in Ost-Berlin. Der Leiter der Parlamentsredaktion, besonders befaßt mit den Unionsparteien, steht für zahlreiche, teils spektakuläre Enthüllungen, ist er doch nicht nur in der Hauptstadt stark vernetzt. So geht die Aufdeckung der ARD/RBB-Vetternwirtschaft vor allem auf seine Recherchen zurück. Daß ihm der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger bereits 1993 den renommierten Theodor-Wolff-Preis verlieh, belegt seine Kompetenz.

Warum Schuler seinem einflußreichen Posten nach elf Jahren den Rücken kehrt, hängt mit Kursänderungen des Springer-Verlags zusammen: Überraschend eindeutig hatten am 1. Juni fünf prominente Gastautoren in Springers Welt den öffentlich-rechtlichen Medien unter anderem vorgeworfen, für Vielgeschlechtlichkeit zu werben und Kinder „aufdringlich“ zu sexualisieren. Die relativ starke homosexuelle beziehungsweise queere Gemeinschaft unter Mitarbeitern des Verlages reagierte ebenso entsetzt über den Essay wie der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann. Eine queere Jobmesse lud das Verlagshaus sogar aus.  Springer-Chef Mathias Döpfner – ohnehin von links  in der Kritik – wies den Gastbeitrag prompt als „unterirdisch“ zurück. Ein Bild-Kommentar sprach sich danach sogar für eine „Vielfalt“ der Geschlechter jenseits der biologischen aus. Und ein stellvertretender Bild-Chef setzte noch eins drauf, indem er in einer internen E-Mail erklärte, man stehe „fest an der Seite der LBGTQ-Community“.

Schulers mutiger Einsatz für die Meinungsvielfalt hängt vor allem mit seinem Erleben in der DDR zusammen.

Schuler nicht. In seinem Kündigungsschreiben heißt es, diese Einseitigkeit könne und wolle er „nicht mittragen“. Besorgniserregend sei, daß Springer selbst einen so „plump-albernen“ Aufkleber wie „Oh deer, I’m queer“ produziere. 

Schulers mutiger Einsatz für Meinungsvielfalt hängt vor allem mit seinem Erleben in der DDR zusammen. Er verweigerte sich der Stasi, hielt treu zur in seiner Region oppositionellen evangelischen Kirche. Weil er eine Unteroffizierslaufbahn bei der Nationalen Volksarmee aus Glaubensgründen ablehnte, durfte er nicht an der Filmhochschule Babelsberg studieren. Geradezu programmatisch ist sein 2019 erschienenes, vielbesprochenes Buch „Laßt uns Populisten sein. Zehn Thesen für eine neue Streitkultur“ (JF18/19).

Zu seinem Bedauern verlangt Springer, daß Schuler bis zum Ende seiner Kündigungsfrist Ende März bleibt. Das ist für Bild positiv, denn Schuler steht für konstruktive Kritik an grün-linken Experimenten und für eine inhaltliche Erneuerung von CDU/CSU auf der Basis des in Vergessenheit geratenen C. Eine seltene Kombination.

Besonders Bild steht nun am Scheideweg. Bereits kurz vor Schuler hat seine Kollegin, die Bestsellerautorin Judith Sevinç Basad aus ähnlichen Gründen gekündigt (JF 26/22). 

Springers Kursänderung sollte man nicht unterschätzen, auch wenn die verkaufte Bild-Auflage seit 1998 um 74 Prozent auf 1,2 Millionen gesunken und es unjournalistisch ist, die AfD prinzipiell und trotzig nur negativ zu nennen. Das kostenpflichtige Digitalangebot Bildplus (über 600.000 Nutzer) ist das größte Europas und kaum eine andere Tageszeitung (außer der NZZ) schaut der Politik so kritisch auf die Finger wie Bild.