© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/22 / 19. August 2022

Als Märtyrer willkommen
Demonstration II: Haß auf die Polizei nach dem Tod eines mit einem Messer bewaffneten Asylbewerbers / Kritik an Auftritt des Bürgermeisters
Werner Becker

Die junge Frau hält ein selbstgemaltes Schild in die Höhe: „Polizist*Innen töten.“ Andere der etwa 500 Teilnehmer dieser Demonstration am vergangenen Samstag auf dem Dortmunder Friedensplatz skandieren „Blut, Blut, Blut an euren Händen!“ in Richtung der zwei Dutzend Ordnungshüter. Anlaß der kleinen Versammlung war der Tod des Senegalesen Mouhamed D. vergangene Woche. 

Der Bewohner einer katholischen Jugendpflegeeinrichtung hatte dort mit einem Messer herumgefuchtelt. Aus Angst, er könne Suizid begehen oder andere Menschen angreifen, riefen Betreuer die Polizei. Als diese mit elf Beamten eintraf, eskalierte die Lage. Trotz mehrmaliger Aufforderung, das Messer niederzulegen, trotz Einsatzes von Pfefferspray und eines Elektroschockers, näherte sich der junge Asylbewerber den Polizisten mit gezogenem Messer. Ein Beamter feuerte sechs Schüsse aus einer Maschinenpistole ab. D. erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Laut Stadtverwaltung war er als mutmaßlicher unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland und erst wenige Tage vor dem tödlichen Zwischenfall nach Dortmund gekommen.

Umgehend wurden Vorwürfe laut, der Fall sei ein weiteres Beispiel für Polizeigewalt. „Wie ist es zu der Gefahrensituation gekommen und welcher Anlaß hat dafür bestanden, eine Maschinenpistole mitzuführen und von ihr mit sechs Schüssen Gebrauch zu machen?“ fragten mehrere SPD-Landtagsabgeordnete in einem Statement. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) kündigte an, die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes zu prüfen, betonte aber, die Beamten hätten sich in einer „ungeheuer schwierigen Lage“ befunden. 

„Niemand sagt sich: ‘Heute knalle ich einen ab’“

„Grundsätzlich ist ein Messer eine sehr gefährliche Waffe, die bei näherer Distanz mit einer Schußwaffe gleichzustellen ist“, erläuterte ein Sprecher der Bundespolizei dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Rechtlich betrachtet sei es bei einem Messerangriff „rechtskonform, den Schußwaffengebrauch anzudrohen und im Notfall auch durchzuführen“. Laut Statistik hatten Polizeibeamte vergangenes Jahr in Deutschland insgesamt 159mal die Waffe gegen Personen eingesetzt. 41 von ihnen wurden verletzt, 15 Personen verstarben infolge des Einsatzes. Diesen Monat kam es indes zu einer Häufung. Bundesweit endete bei drei weiteren Vorfällen der polizeiliche Schußwaffeneinsatz tödlich. 

Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, kritisierte den aktuellen Diskurs. Die meisten Leute hätten „viel Meinung, aber überhaupt keine Ahnung von Polizeiarbeit“. In einer vergleichbaren Situation würden sie vermutlich „schreiend davonlaufen und nach der Polizei rufen“, schrieb Wendt auf seiner Facebook-Seite. Während sich die Demonstration am Dortmunder Friedensplatz langsam auflöst, betont ein Polizeibeamter mit ernstem Blick: „Niemand von uns steht morgens auf und sagt sich: ‘Heute knalle ich einen ab.’“

Bei einer Trauerfeier in einer Moschee in Dortmund zum Gedenken an Mouhamed D. war neben Vertretern der muslimischen und afrikanischen Gemeinde sowie der Kirchen auch Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) vor Ort. Er appellierte an das Vertrauen in den Rechtsstaat. „Ich verstehe, daß die Väter und Mütter Sorgen haben. Sie haben Angst. Ich verstehe das. Wir müssen alle verstehen, was in solchen Familien passiert. Wir müssen stark dabei sein.“ Er betonte zugleich, daß der Rechtsstaat alles tue, um aufzuklären. Man dürfe andere nicht vorverurteilen. 

Für seinen Auftritt erntete das Stadtoberhaupt vor allem in den sozialen Medien teilweise harsche Kritik. Einige Nutzer monierten, Westphal habe sich mit dieser Geste nicht ausreichend hinter den Polizisten gestellt. Ähnlich äußerte sich der stellvertretende Bundes­vorsitzende der Deutschen Polizei­gewerkschaft, Manuel Ostermann. „Wo bitte ist die Stärkung der Einsatzkräfte?“ fragte er auf Twitter und warf dem Oberbürgermeister vor, so für „Politikerverdrossenheit“ zu sorgen. 

Die Demonstranten am Dortmunder Friedensplatz sehen die Gründe für diese Verdrossenheit woanders. Der Polizei gehe es darum, „Angst zu verbreiten, zu schießen und zu töten“, weiß ein Redner und erntet Applaus. Der junge Mouhamed sei „unser George Floyd“. Ein afrikanisches Leben, fährt er fort, habe auf der Welt nun einmal keine Bedeutung.   Kommentar Seite 2