© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/22 / 19. August 2022

Ländersache: Berlin
Grüner Filz – oder ein Bauernopfer?
Jörg Kürschner

War es das für Berlins Bürgermeister im Bezirk Mitte, wo sich sowohl der Regierungssitz als auch die meisten Verfassungsorgane befinden? Die Hauptstadt-Grünen haben Amtsinhaber Stephan von Dassel das Vertrauen entzogen. In einer außerordentlichen Sitzung hat seine eigene Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) mit knapper Mehrheit für den Rücktritt ihres Bürgermeisters gestimmt. Daß er kurz zuvor noch ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst beantragt hatte, beeindruckte seine Fraktionskollegen nicht. Dagegen hat sich der Kreisvorstand der Grünen Mitte gegen einen Rücktritt ausgesprochen.

Die Vorwürfe: Dassel wollte den Posten „Leitung Steuerungsdienst“ im Bezirksamt mit einem ihm vertrauten Parteifreund aus dem Wahlkampfteam besetzen. Doch der konnte die Stelle wegen der Konkurrentenklage des unterlegenen Mitbewerbers nicht antreten. Dafür soll der Bezirksbürgermeister diesem knapp 16.000 Euro aus seinem Privatvermögen angeboten haben, falls er die Klage zurückzieht. Was Dassel vehement bestreitet. Die Geldforderung habe vielmehr der Bewerber gestellt. Daraufhin habe er den Kontakt abgebrochen.

Eingeräumt hat der Grüne aber die Kontaktaufnahme mit dem Bewerber. Er habe ihn gefragt, „ob man in irgendeiner Weise schauen kann, daß man dieses Verfahren nicht zwei Jahre laufen läßt“. Dassel hat dann bei seiner Verwaltung eruiert, ob eine außergerichtliche Einigung möglich sei. Die Beamten verneinten deutlich. Zuständig für eine Konkurrentenklage ist das Verwaltungsgericht. „Was mein Fehler war: daß ich ihn danach trotzdem noch mal kontaktiert habe und gesagt habe, okay, mit der Verwaltung funktioniert es nicht. Können wir vielleicht irgendwie privat zusammenkommen?“, räumte Dassel reumütig ein. Und hoffte wohl, das Disziplinarverfahren „im Einvernehmen“ mit der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) werde ihn vom Verdacht eines Dienstvergehens entlasten.

Doch seine Fraktion zeigte sich ungerührt, beschloß sogar die Einleitung eines Abwahlverfahrens, sollte der Bürgermeister nicht freiwillig zurücktreten. Daß die Grünen durch einen Rücktritt einen ihrer drei Posten im Bezirksamt verlieren würden – geschenkt. Der 55jährige war 2016 ins Amt gekommen, entpuppte sich zum Entsetzen vieler Parteifreunde bald als grüner Sheriff. Im Berliner Tiergarten, einem unter Ausländern beliebten Treffpunkt, konstatierte er Probleme mit „aggressiven Obdachlosen aus Mittel- und Osteuropa“. „Notfalls abschieben“, forderte der Grüne. „Du entfernst dich von grünen Grundsätzen“, hielt ihm sein Landesverband vor. „Wir können hier nicht jeden tolerieren“, konterte Dassel. Ende vergangenen Jahres war seinetwegen eine Grünen-Bezirksverordnete zu den Linken gewechselt. Viele Bürger des Bezirks dagegen loben seine klare Haltung.

Die CDU verlangt nun ein Eingreifen des Senats, der die Dienstaufsicht über die Bezirksbürgermeister führt. Falls die Anschuldigungen wahr seien, bleibe Dassel nur der Rücktritt. Ähnlich äußerte sich AfD-Landeschefin Kristin Brinker gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Möglicherweise sei Dassel wegen seiner Positionen nur ein Bauernopfer. Giffey ließ erklären, sie erwarte eine zügige Aufklärung der Vorgänge.