© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/22 / 19. August 2022

Am Nasenring durch den Sahel
Mali: Weil das Regime Flugrechte verweigert, setzt die Bundeswehr den UN-Einsatz aus / „Sofort nach Hause holen“
Christian Vollradt

Keine Aufklärung mehr, nur noch Eigensicherung. Seit Freitag vergangener Woche kümmern sich die Soldaten der Bundeswehr in Mali nicht mehr um die Stabilisierung des Landes im Auftrag der Vereinten Nationen (UN), sondern nur noch um sich selbst – zumindest vorerst. Die deutsche Beteiligung an  Operation Minusma werde zwar nicht sofort beendet, aber „ausgesetzt“, so die offizielle Sprachregelung. Langsam scheint auch der Bundesregierung zu dämmern, daß das Regime in Bamako sie gelinde gesagt zum Narren hält. 

Nach „mehrwöchigen Ruhephasen“, so ein Sprecher des Verteidigungsministeriums diplomatisch zurückkhaltend, in denen es nicht gelungen sei, den malischen Verteidigungsminister Sadio Camara ans Telefon zu bekommen – wie es hinter vorgehaltener Hand heißt, habe er sich stets verleugnen lassen –, konnte Christine Lambrecht (SPD) ihren westafrikanischen Amtskollegen Mitte vergangener Woche dann endlich sprechen. 

In dieser Unterredung habe die deutsche Ministerin „die Zusicherung erhalten, daß es nunmehr keine weiteren Auflagen, die nicht abgesprochen sind, Überflugverbote und Ähnliches geben solle“, so ihr Sprecher. Doch nur einen Tag später verweigerte die Junta der Hamburger Spedition Kühne&Nagel, die als ziviler Vertragspartner der Bundeswehr den Personalwechsel bewerkstelligen sollte, die Überflugrechte. So konnten nicht wie beabsichtigt 140 deutsche Soldaten nach Mali verlegt und im Gegenzug auch nicht etwa 110 Personen aus dem Land herausgeflogen werden.

Berlin wirft  Bamako Wortbruch vor

Die neuen Bundeswehrkräfte sollten eigentlich französische Soldaten ersetzen, die peu à peu das Land verlassen, nachdem Paris seinen Einsat dort für beendet erklärt hatte. „Damit ist ohne eine Neuaufstellung die Sicherheit vor Ort nicht mehr gewährleistet. Wir mußten die Kräfte, die vor Ort sind, für Sicherungsaufgaben bereithalten“, erläuterte Lambrechts Sprecher. Es sei dadurch „nicht mehr möglich, Minusma in den operativen Aufklärungsmissionen zu unterstützen.

 „Die Taten Camaras sprechen eine andere Sprache als seine Worte“, zeigte sich Lambrecht erbost über die Wortbrüchigkeit der „Übergangsregierung“, die aus dem nunmehr dritten Militärputsch seit 2012 hervorgegangen ist. Immerhin kann sich Junta-Mitglied und „Staatspräsident“ Assimi Goïta auf einen fundierten Kompaniechef-Lehrgang berufen, den er einst bei der Bundeswehr absolvieren durfte. Goïta hatte am selben Tag, an dem sich die deutsche Verteidigungsministerin scheinbar mit ihrem malischen Amtskollegen verständigt hatte, mit Rußlands Präsident Wladimir Putin telefoniert. Anschließend lobte der General die respektvolle Partnerschaft mit Moskau, das „Malis Souveränität achte“. In Berlin wertet man das als Indiz dafür, daß hinter den Winkelzügen im Sahel in Wahrheit der Kreml steckt.

In gewisser Weise typisch ist die im Begriff „Aussetzen“ liegende Unentschiedenheit der deutschen Regierung. Mali ist seit dem Afghanistan-Abzug der größte und auch gefährlichste Auslandseinsatz der Bundeswehr. Bilder wie die vom überstürzten Rückzug aus der afghanischen Haupstadt Kabul vor einem Jahr will man tunlichst vermeiden.  

Deutsche Soldaten sind in dem Krisenstaat im Sahel an zwei verschiedenen Einsätzen beteiligt: etwas mehr als tausend von ihnen für Minusma, etwa 250 an der EU-Ausbildungsmission EUTM. Zu Beginn dieses Jahres hatte es angesichts der fortschreitenden Zuspitzung und des unfreundlichen Gebarens des malischen Regimes noch danach ausgesehen, daß die Bundeswehr ihre Beteiligung an EUTM beendet oder zumindest reduziert und den Minusma-Einsatz fortsetzt. 

Trotz der jüngsten Entwicklungen betonte Regierungssprecher Steffen Hebestreit, Deutschland sei grundsätzlich weiterhin bereit, sich an dieser internationalen Friedensmission zu beteiligen. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), forderte Konsequenzen. So müsse das Auswärtige Amt zügig eine neue Strategie für die Sahelzone vorlegen, „die den neuen und schwierigeren Umständen Rechnung trägt“. 

Aus der Opposition im Bundestag kommen unterschiedliche Forderungen. Während die Union einen Verbleib in der Region zum Schutz vor Terrorismus und Gewalt für nötig hält, ist für den verteidigungspolitischen Sprecher der AfD-Fraktion, Rüdiger Lucassen, „das Maß des Erträglichen voll“. Der Einsatz müsse umgehend beendet werden, da der Nachschub und die medizinische Versorgung der deutschen Soldaten akut gefährdet seien. „Das eingesetzte Bundeswehrkontingent muß sofort nach Hause geholt werden. Sollte die malische Regierung auch dafür die Ladegenehmigung verweigern, ist eine voll aufmunitionierte Staffel Eurofighter das Mittel der Wahl.“ 

Was die Bundeswehr in Mali vor allem einschränkt, ist die Luftunterstützung durch Kampfhubschrauber. Ihre eigenen vom Typ „Tiger“ waren Mitte 2018 – nach einem tödlichen Absturz einer Maschine 2017 – abgezogen worden. Als die Franzosen sich verabschiedeten, fragte die Bundesregierung bei den Holländern an, die jedoch abwinkten. Derzeit stünden die Franzosen bei Bedarf noch bereit, hieß es kürzlich aus dem Bendlerblock. Später sollen dann zwei andere Staaten im UN-Auftrag die Luftnahunterstützung gewährleisten: erst El Salvador und dann Bangladesch.