© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/22 / 19. August 2022

Wind Nord-Ost, Startbahn null-drei
Bundesverfassungsgericht: Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit nutzen auch die höchsten Richter die Flugbereitschaft der Luftwaffe
Paul Rosen

Über den Wolken gibt es einen Erste-Klasse-Service in allen Sitzreihen. Und warten auf eine Start- oder Landeerlaubnis bei vollem Luftraum ist unbekannt, denn die Flugzeuge der Flugbereitschaft des Verteidigungsministeriums genießen als Militärmaschinen stets Priorität. Flüge mit der Flugbereitschaft sind äußerst beliebt, aber benutzen dürfen sie nur Regierungsmitglieder, Fraktionsvorsitzende des Bundestages, der Bundespräsident und die Bundestagspräsidentin. 

Daß auch Richter des Bundesverfassungsgerichts die Flugbereitschaft nutzen können, dürfte bisher bestenfalls Insidern bekannt gewesen sein; und selbst die dürfte es überrascht haben, wie oft die Damen und Herren mit den roten Roben von der weißen Flotte Gebrauch machten. Zwischen 2017 und 2021 habe es insgesamt 38 Flüge von Verfassungsrichtern gegeben, teilweise auch zu weit entfernten Zielen.

Laut einem Bericht der Berliner Zeitung flogen Bundesverfassungsgerichtspräsident Stephan Harbarth (ein früherer CDU-Bundestagsabgeordneter) und weitere Richter unter anderem zu Gerichtsbesuchen in Israel, Irland und Großbritannien. Harbarth flog mit der Flugbereitschaft laut dem Bericht auch zu Konferenzen im Senegal und in Georgien.

Das Bundesverfassungsgericht war wegen einer Teilnahme mehrerer Richter an einem Abendessen bei der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bereits in die Kritik geraten, weil das Gericht in diesem Zeitraum unter anderem über die Corona-Politik der Bundesregierung zu entscheiden hatte. Nun wurde bekannt, daß Richter des Bundesverfassungsgerichts für die Reisen vom Gerichtssitz in Karlsruhe zur rund 700 Kilometer entfernten Hauptstadt mehrfach die Flugbereitschaft genutzt haben, unter anderem für zwei Treffen mit Merkel, für zwei Termine beim Bundestags- und beim Bundespräsidenten sowie für ein weiteres Treffen mit Mitgliedern der Bundesregierung. 

Die Berliner Zeitung zitierte aus einer Stellungnahme des Gerichts zu den Flügen, in der die Nutzung der Flugbereitschaft damit begründet wird, daß bei Linienflügen die Wahrnehmung eines Termins bei der Bundesregierung nicht beziehungsweise nur mit erheblichem Zeitverlust möglich gewesen wäre. Zu einem Termin am 30. Juni 2021 zum Dinner bei Merkel mit rund einem Dutzend Verfassungsrichtern heißt es, von den Flughäfen Karlsruhe und Mannheim habe es keine Linienflugverbindungen nach Berlin gegeben, ein Linienflug ab Frankfurt oder Stuttgart sei angesichts der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit und der langen Anfahrtszeiten – auch aufgrund häufiger Verkehrsstörungen – nicht in Betracht gekommen. Außerdem begründete das Gericht die Nutzung der Flugbereitschaft mit einem weitaus geringeren Corona-Infektionsrisiko im Vergleich zu einer Linienflugverbindung.

In den Richtlinien für die Inanspruchnahme der Flugbereitschaft heißt es: Die „durch den Flug verursachten Kosten müssen in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung und Dringlichkeit des Amtsgeschäfts und den damit verbundenen Bundesinteressen“ stehen. 

Überprüft und kontrolliert wird die Einhaltung dieser Vorschriften nicht. Und damit gilt der Grundsatz: Wo keine Kläger, da keine Richter. Außer bei der Flugbereitschaft.