© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/22 / 19. August 2022

Dreist und einseitig
Skandal um Öffentlich-Rechtliche: Nach der Abberufung von Intendantin Patricia Schlesinger durch den RBB-Rundfunkrat tauchen immer neue Vorwürfe auf
Markus Schleusener

Andrea Kiewel erlaubte dem Publikum am Sonntag einen kurzen Blick hinter die Kulissen: Im ZDF-Fernsehgarten sprach sie über die „Songwriter*innen-Szene“, was das Publikum mit Unmutsäußerungen goutierte. Darauf sagte sie zu einem Gast: „Nicht das Gesicht verziehen – ich muß!“

Die Videosequenz ging viral. ZDF und Kiewel waren hinterher bemüht, die Empörung einzufangen. Es gebe keine Gender-Pflicht, und Kiewel gendere freiwillig. Das wirkte nun wenig glaubwürdig. Doch die gegenderte Sprache ist nur ein Aspekt. Kommen dann noch Verfehlungen wie Selbstbedienung oder Geldverschwendung hinzu, ist die Entfremdung vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk perfekt. Und davon gibt es genug: So erfuhr die Öffentlichkeit in der vergangenen Woche, daß die Technik-Chefin des Bayerischen Rundfunks, Birgit Spanner-Ulmer, gleich über zwei Dienstwagen und zugehörige Chauffeure verfügen kann, was Patricia Schlesingers 145.000-Euro-A8 noch in den Schatten stellt.

Im Vorjahr hatten explodierende Kosten beim Senderneubau des WDR aufhorchen lassen. Dann berichtete die ZDF-Aussteigerin Katrin Seibold über ihre ernüchternden Erfahrungen in den Redaktionen, in denen Kritik an der Regierungslinie nicht gefragt sei. Und vom NDR wurde nun bekannt, daß auch dort die Anti-Korruptions-Beauftragte eingeschaltet worden ist – wegen möglicher Verfehlungen Schlesingers in ihrer Zeit vor dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB).

Und selbst beim RBB reißen die Enthüllungen nicht ab: Inzwischen hat die Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen wegen der gesellschaftlichen Relevanz an sich gezogen. Zur Erinnerung: Zu Beginn der Affäre hatte die Staatsanwaltschaft zunächst nichts von einem Skandal wissen wollen und das Verfahren, das auf eine AfD-Anzeige hin eingeleitet worden war, vorläufig eingestellt. Jetzt also eine 180-Grad-Kehrtwende.

Das Offenbarwerden der Mißstände nutzt den Bürgern

Der RBB-Rundfunkrat hat am Montag die sofortige Abberufung der 61jährigen beschlossen. 22 Mitglieder waren dafür, eines hat sich enthalten. Grund sind wohl die falsch abgerechneten Abendessen in ihrer Privatwohnung. Finanziell gesehen ist der Schaden überschaubar. Aber dafür ist der Vorwurf der Untreue kaum von der Hand zu weisen. Für die Details der Vertragsauflösung sei nun der Verwaltungsrat des Senders zuständig, berichtet der RBB. Dabei gehe es auch um eine mögliche Abfindung oder Schadenersatzansprüche gegenüber Schlesinger. Offen sei noch, ob eine fristlose Kündigung in Frage komme.

Nach Schlesingers Rücktritt war auch bekanntgeworden, daß sie 2021 eine private London-Reise auf Senderkosten abgerechnet haben soll. Weiter soll es vor Sitzungen des Verwaltungsrates und des Rundfunkrates nichtprotokollierte Vorgespräche in Schlesingers Büro oder in Hotelräumen gegeben haben, meldete der Business Insider. Der RBB räumt die Treffen ein und verweist auf die Ankündigung der Verwaltungsratsvorsitzenden, an dieser Praxis nicht festhalten zu wollen. Außerdem gebe es laut Business Insider zusätzlich zu den unveröffentlichten Geschäftsberichten noch gesonderte Vergütungsberichte zu Führungskräften, die der Sender unter Verschluß halte – darunter sei ein Papier mit den Gesamtbezügen Schlesingers. Der RBB berief sie jetzt auch als Chefin im Aufsichtsrat der mächtigen Filmhandelsfirma Degeto ab.

Kurzum: Es brennt beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk an allen Ecken und Enden. Im Zusammenhang mit der Affäre beim RBB ist immer wieder zu hören, diese habe großen Schaden für alle Sendeanstalten verursacht. Die Aufdeckung und die Tatsache, daß jetzt die Verschwendung hoffentlich abgestellt wird, nutzt den Bürgern aber. Den Imageverlust haben sich die Anstalten selbst zuzuschreiben – zumal die Vorwürfe in Teilen bekannt waren.

Zu denen, die nicht erst seit gestern die Vorwürfe gegen ARD, ZDF und Co. kennen, gehört Friedrich Merz. Der CDU-Chef hat erkannt, daß er jetzt mit diesem Thema punkten kann. Folgerichtig forderte er massive Konsequenzen bei den Öffentlich-Rechtlichen. Mehr Ausgewogenheit, Transparenz bei Geldflüssen, Konzentration auf das Wesentliche. Es sind Forderungen wie aus einem AfD-Programm, nur daß Merz das Wort „Zwangsbeiträge“ in „Pflichtbeiträge“ umbenannt hat, damit es nicht allzu deutlich wird, von wem er sich hat inspirieren lassen. Eine Forderung könnte auch den Zuschauern des ZDF-Fernsehgartens gefallen haben: Merz macht sich stark für ein Ende des Gendersprechs.