© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/22 / 19. August 2022

Grüße aus Bern
Nerviger Belehrungswahn
Frank Liebermann

Die Aare ist ein wunderschöner Fluß. Sie entspringt den beiden Aargletschern, die in den Berner Alpen beheimatet sind. Rund um die historische Altstadt schlängelt sich das Gewässer, bis es sich über Biel in Richtung Solothurn bewegt und dann im schweizerischen Ko-blenz in den Rhein mündet. 

Bei den Einheimischen ist die Aare äußerst beliebt. Sie ist nicht nur der zentrale Badeort, sondern ein extrem wichtiges Gesprächsthema, mit dem vor allem in den Sommermonaten jeder ungefragt konfrontiert ist. Nicht einmal die aktuellen Benzinpreise, Corona oder der Ukrainekrieg haben für den Hauptstädter eine ähnliche Bedeutung. 

Die eine Aktivität ist das sogenannte Aareböötle. Menschen, die diesen Sport betreiben, sind leicht zu erkennen. Gern tragen sie Hawaiihemden, Flip-Flops und sonderbare Hüte. Dabei schleppen sie meist ein aufblasbares Schlauchboot mit sich, steigen in den Zug, fuchteln mit den Paddeln durch die Luft und fahren flußaufwärts, um sich dann ohne große Anstrengung von der Strömung in eine beheimatete Region treiben zu lassen. 

Das ist nicht erfrischend, sondern unangenehm. Beim Baden bin ich halt eher der lauwarme Typ.

So weit, so spannend. Als Alternative gibt es den Aareschwumm. Da passiert das gleiche, nur ohne Boot. Dafür gibt es extra wasserdichte Taschen, in denen der Schwimmer seine Wechselkleidung, sein Mobiltelefon und andere lebenswichtige Dinge mit sich führt. Hartgesottene machen das schon ab April, dann allerdings im Neoprenanzug. Auch hier treibt die Strömung den Sportler an einen anderen Ort flußabwärts. 

Dabei ist das Schwimmen in der Aare nur geübten Sportlern zu empfehlen. Jährlich ertrinken etliche Menschen bei diesem Vergnügen, weil sie entweder ihre Kräfte überschätzen, alkoholisiert sind oder einfach nur Pech haben. Die Strömungen sind gefährlich, und wer sich nicht auskennt, geht unnötige Risiken ein. 

Nun darf natürlich jeder seine Freizeit so verbringen, wie er das möchte. Das Schlimme ist, daß der selbsternannte Aaresportler bei allen Gelegenheiten einem nervigen Belehrungswahn frönt. Wer sich wie ich mit keiner der Aktivitäten anfreundet, muß regelmäßige Gespräche über sich ergehen lassen. Der Aareschwumm ist angeblich erfrischend und total aufregend. Selbst in der Mittagspause läßt er sich machen, die dann halt drei Stunden dauert. 

Ich bevorzuge andere Badeorte. Das hat einen einfachen Grund: Die Aare ist kalt. Sehr kalt. Selbst im Hochsommer ist dort die Temperatur selten höher als 20 Grad. Das ist nicht erfrischend, sondern unangenehm. Beim Baden bin ich halt eher der lauwarme Typ. Der leider den vergangenen Sonntag verpaßt hat, denn da war die Aare nach Angaben des Bundesamtes für Umwelt 21,4 Grad warm.