© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/22 / 19. August 2022

Aufstand in der „Bananenmonarchie“
Niederlande: Der Unmut über eine abgehobene Regierung wächst von Woche zu Woche
Mina Buts

Die 80jährige Frau wärmt ihr Essen über einer Kerze auf. Strom und Gas sind ihr abgedreht worden, sie konnte die Rechnungen dafür nicht mehr bezahlen. „Das ist unglaublich bitter“, so ihr Hausarzt Robert Mol. Er berichtet über zunehmende Gesundheitsbeschwerden, vor allem bei Kranken und Alten. Diese könnten die rasant steigenden Rechnungen für Lebensmittel, Gas und Strom nicht mehr bezahlen, was nicht nur physische, sondern auch psychische Folgen habe.

Die Lebensmittelpreise sind in den Niederlanden innerhalb eines Jahres um 18,5 Prozent gestiegen. Eine Durchschnittsfamilie wird in diesem Jahr 4.000 Euro mehr für Energie ausgeben müssen und jeder dritte Haushalt ist von „Energiearmut“ betroffen. Gleichzeitig werden Ressourcen knapp. So benötigt das am Ijsselmeer angesiedelte Datencenter Microsoft Middenmeer statt der geplanten 12 bis 20 Millionen Liter Wasser für die Kühlung seiner Server jährlich nun plötzlich 84 Millionen Liter – während gleichzeitig die Niederländer zum Wassersparen aufgerufen werden.

Ministerpräsident Mark Rutte (Volkspartei für Freiheit und Demokratie; VVD) ist der am längsten amtierende Regierungschef in Europa und hat sich angewöhnt, jedes Problem einfach nur noch auszusitzen und wegzulächeln. Die vermeintliche „Stickstoffkrise“ der niederländischen Viehhalter wird mit der Bereitstellung von 25 Milliarden  Euro gelöst – nicht etwa um die Landwirtschaft umzustrukturieren oder den Stickstoffausstoß zu reduzieren, sondern einzig und allein, um die demnächst zwangszuenteignenden Bauern finanziell entschädigen zu können.

Mittlerweile ist die Stimmung im Land unverhohlen aggressiv. Ganz Holland ist unzufrieden; das Gefühl, eine abgehobene Regierung agiere gegen das eigene Volk, verstärkt sich zusehends. Eine erste Quittung könnte es bei den Provinzwahlen im März 2023 geben. Hier werden nicht nur die Kommunalvertreter, sondern auch die Hälfte der Mitglieder der Ersten Kammer gewählt.

Caroline van der Plas, bislang einzige Vertreterin der BauernBürgerBewegung (BBB) in der Zweiten Kammer, ist schon im Wahlkampfmodus. Sie tingelt durch die Wahlkreise, sucht geeignete Kandidaten aus und möchte in jeder Provinz eine Liste mit mindestens 25 guten Leuten präsentieren. Schon im November werden die Kandidaten aufgestellt. Die BBB liegt derzeit in Umfragen bei 18 Prozent, vor ihr Ruttes VVD mit 22 und hinter ihr Geert Wilders’ Partei für die Freiheit (PVV) mit 16 Prozent. Eine ernstzunehmende Konkurrenz könnte ihr allenfalls durch Pieter Omtzigt entstehen, mit dem sie bislang keine Zusammenarbeit geplant hat.

Omtzigt ist beim Volk der beliebteste Politiker, für die Etablierten allerdings ein rotes Tuch. Der 1974 geborene Politiker saß von 2003 bis 2021 mit einer kurzen Unterbrechung für die Christdemokraten der CDA im Parlament. 2021 verließ er die Partei und bildet nun als Einzelabgeordneter die „Fraktion Omtzigt“, die mit sehr bescheidenen Finanzmitteln auskommen muß. Ihm ist es zu verdanken, daß die „Kinderzuschlagsaffäre“, bei der Tausende niederländische Familien in den finanziellen und persönlichen Ruin gestürzt wurden, überhaupt aufgedeckt wurde. Die Regierung hatte von Tausenden Familien zu Unrecht hohe fünfstellige Zahlungen zurückgefordert, fast 1.800 Kinder wurden im Rahmen dieser Affäre aus Familien genommen und sind bis heute nicht zurückgekehrt.

Eine Parteigründung ist für Omtzigt noch keine Option 

Schon 2016 war Omtzigt mit Rutte aneinandergeraten: Er kritisierte, daß das Ergebnis der damals von der politisch inkorrekten Webseite „Geenstijl“ und dem „Forum für Demokratie“ initiierte Bürgerbegehren zum Assoziierungsabkommen der Europäischen Union mit der Ukraine von Rutte einfach ignoriert wurde. Auch zum Abschuß der MH17 stellte er die berechtigte Frage an die Regierung, warum die Bilder dieses Absturzes bis 2017 zurückgehalten wurden.

Die in den Niederlanden strikt durchgesetzten Coronamaßnahmen mit nächtlichen Ausgangssperren und Angriffen auf friedliche Demonstranten kritisierte er als vollkommen unverhältnismäßig. Das ständige Verschweigen und Zurückhalten von Dokumenten, die Staatsaffären aufklären helfen könnten und sollten, so Omtzigt, sei Zeichen einer „Bananenmonarchie“.

 Bei der letzten Parlamentswahl erhielt Omtzigt mehr als 340.000 Vorzugsstimmen. Der Versuch, ihn politisch kaltzustellen, scheiterte an der Unvorsichtigkeit von Regierungspolitikern, die entsprechende Dokumente dazu so offen mit sich führten, daß Journalisten sie ablichten konnten und veröffentlichten.  

Zur Gründung einer eigenen Partei hat Omtzigt, der nach dem Aufdecken der Kinderzuschlagsaffäre einen Burnout erlitt und eine Auszeit nahm, sich bislang nicht entschließen können. Es gibt aber schon erste veröffentlichte Umfragen, wie eine Sitzverteilung im Parlament mit einer „Liste Omtzigt“ aussehen würde: Er wäre mit 24 Sitzen viermal so stark wie seine ehemalige Partei, die CDA, und der absolute Wahlgewinner.


Foto: Pieter Omtzigt: Der beliebteste Politiker der Niederländer, aber ein rotes Tuch für die etablierte Politik