© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/22 / 19. August 2022

Amerikanischer Pragmatismus
US-Milliardenpaket: Neue Subventionen/ Abkommen zur Mindestbesteuerung torpediert
Thomas Kirchner

Zwei Quartale mit Negativwachstum – das wird üblicherweise Rezession genannt. Doch seit das Weiße Haus in einer Pressekonferenz bestritten hat, daß die US-Wirtschaft sich in einer Rezession befindet, werden entsprechende Kommentare in sozialen Medien von „Faktencheckern“ mit einem Warnhinweis versehen. Doch daß wirklich eine Rezession herrscht, zeigt die Realität: Joe Biden hat nach eineinhalb Jahren Gezerre im Senat nun genug Stimmen zur Verabschiedung seines Konjunkturprogramms bekommen. Das wird den Amerikanern allerdings als Inflationsbekämpfungsgesetz verkauft – eine Rezession gibt es ja nicht.

Die Dollar-Entwertung ist im Juli von 9,1 auf 8,5 Prozent gesunken – weil Energie billiger wurde. Ein Liter Benzin ist für umgerechnet einen Euro zu haben. Außenministerin Annalena Baerbock hingegen glaubt, das „größte Klimainvestitionsprogramm in der US-Geschichte wird einen spürbaren Beitrag zur Senkung der globalen Treibhausgasemissionen und zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens leisten“. In Amerika zählt, daß der unbeliebte Präsident vor den Zwischenwahlen am 8. November noch etwas auf die Reihe gebracht hat. „Build Back Better“ hieß das Programm ursprünglich. Es sollte 2,3 Billionen Dollar kosten. Der US-Rechnungshof prognostizierte mindestens drei Billionen.

Wilde Mischung aus Steuer-, Sozial- und Energiepolitik

Das nun verabschiedete Paket ist auf 437 Milliarden geschrumpft. Die Verkleinerung um 80 Prozent spricht Bände über Bidens Rückhalt bei seinen zerstrittenen Demokraten – und aus welcher Richtung der politische Wind weht. Ausgabenpolitiker um Bernie Sanders sind die Verlierer. Der „demokratische Sozialist“ hatte ursprünglich sogar sechs Billionen Dollar mobilisieren wollen. Auch Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, und Demokraten-Fraktionschef Steny Hoyer wollten ein „progressiveres“ Gesetzespaket. Ein Erfolg ist der Inflation Reduction Act (IRA) für die Senatoren Joe Manchin und Kyrsten Sinema, die das ursprüngliche Paket blockiert hatten und deshalb als potentielle Überläufer zu den Republikanern gehandelt wurden. Manchin, von 2005 bis 2010 Gouverneur des Kohlestaats West Virginia, bestimmte die „Klimainhalte“. In seinem Wahlkreis hat man noch in Erinnerung, wie sich die Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton einst brüstete, die Kumpel im Bergbau arbeitslos machen zu wollen.

Entsprechend stark „pro Kohle“ muß sich der Demokrat Manchin positionieren. Übriggeblieben ist eine wilde Mischung aus Steuer-, Sozial- und Energiepolitik. Subventionen für „erneuerbare“ Energien sind der größte Posten. Manchin setzte die Genehmigung der umstrittenen Mountain-Valley-Pipeline (MVP) durch, die Erdgas von Virginia nach West Virginia transportiert, 9.000 Arbeitsplätze schafft und Steuereinnahmen generiert. Neue Förderlizenzen für Öl und Gas auf staatlichen Land sollen vergeben werden – obwohl Biden nach seinem Amtsantritt das Fracking dort verboten hatte.

Amerikanischer Pragmatismus zeigt sich in der Technikoffenheit, der Bereitschaft zum Weiterbetrieb bestehender Kraftwerke und der unterirdischen Speicherung des CO2-Ausstoßes fossiler Kraftwerke (CCS). Das ist in Deutschland undenkbar, aber US-Konsens. Es gibt keine US-weite „CO2-Bepreisung“ à la Angela Merkel, aber Unterstützung der Kernkraft mit 30 Milliarden Dollar. Elektroautos werden nur noch gefördert, wenn die Rohstoffgewinnung für die Lithium-Akkus neue Umweltstandards erfüllt – weltweit ist es das erste Gesetz dieser Art.

Bei den Staatseinnahmen ist noch weniger passiert: Reichensteuer? Revision von Donald Trumps Erbschaftssteuerreform? Teilrücknahme seiner Unternehmenssteuerreform? Wiederherstellung der von Trump abgeschafften Abzugsfähigkeit lokaler Steuern von der Bundessteuer und im Wahlkampf ein Topthema? Nichts davon ist im IRA zu finden. Trumps Handschrift bestimmt weiterhin die Steuerpolitik. Senatorin Sinema – eine 46jährige Demokratin aus Arizona mit Kontakten zur Private-Equity-Branche und einstiges Grünen-Mitglied – verhinderte die von Linken lange geforderte Besteuerung der Kapitalerträge von Hedgefonds-Managern als Einkommen statt als Kapital. Die Bundessteuerbehörde IRS bekommt, verteilt über zehn Jahre, 80 Milliarden zusätzlich zur Modernisierung ihrer Informatik und zur Einstellung von 87.000 neuen Beamten. Mit 165.000 Mitarbeitern wäre der IRS größer als das Pentagon. Erwartungsgemäß sind Unternehmen die Zahlmeister des IRA-Pakets. Es wird eine Steuer auf Aktienrückkäufe eingeführt, was insbesondere US-Technologiefirmen treffen wird, die ihre Angestellten mit Aktien entlohnen, die sie dann zurückkaufen, um so ihre wahren Personalkosten in der Bilanz verstecken zu können.

Staatliche Krankenversicherung darf Arzneimittelpreise aushandeln

Unklar sind die Auswirkungen der 15prozentigen Mindeststeuer auf Firmengewinne. Lange war fraglich, ob die USA diese OECD-Forderung umsetzen würden. Sie tun es nicht, auch wenn der Steuersatz optisch der gleiche ist. Die Umsetzung erfolgt nicht auf alle Gewinne, wie es die OECD-Vereinbarung verlangt hätte. Auch hier hat sich Manchin durchgesetzt und das von Biden und Finanzministerin Janet Yellen ausgehandelte globale Abkommen torpediert. Eine symbolische Niederlage muß die Pharmabranche einstecken. Künftig darf die bundesstaatliche Krankenversicherung (Medicare) die Preise von Medikamenten mit den Herstellern aushandeln – aber erst in vier Jahren und nur bei zehn Produkten. Echte Ersparnisse gibt es aber für Rentner, deren oft horrende Zuzahlungen für Medikamente künftig auf jährlich 2.000 Dollar begrenzt werden.

Politisch signifikant ist Manchins Durchsetzung einer Defizitreduzierung um 300 Milliarden Dollar. Das ist zwar weniger, als das IRA-Paket kostet. Aber es ist das erste Mal seit einem Jahrzehnt, daß überhaupt das Etatdefizit (Prognose 2022: 1,2 Billionen Dollar) angesprochen wird. Zudem wurde ein weiteres Subventionsgesetz verabschiedet: Der CHIPS and Science Act wird 50 Milliarden Dollar an Halbleiterhersteller zahlen, die Fabriken in den USA eröffnen. Das soll die Abhängigkeit von China  verringern, ist aber auch eine Reaktion auf Intel: Im Juni wurde bekannt, das der US-Chiphersteller für seine Ansiedlung in Magdeburg zusamen 6,8 Milliarden Euro von Land, Bund und EU erhält.

Inflation Reduction Act of 2022: www.democrats.senate.gov/imo/media/doc/inflation_reduction_act_of_2022.pdf