© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/22 / 19. August 2022

Hoffen auf die Feststoffbatterie
E-Mobilität: Lithium bleibt knapp und teuer / Kosten senken, Energiedichte steigern, Sicherheit erhöhen sind die Anforderungen
Paul Leonhard

Der Dax ist innerhalb eines Jahres von 16.000 auf 13.500 Punkte abgesackt. Aber es gibt Hoffnung: „Jetzt einsteigen und mitverdienen!“, wirbt Der Aktionär für eine neue börsennotierte Lithium-Aktie. Noch notiere das Papier nur minimal über dem Empfehlungskurs im Maydorn-Report, doch Anleger hätten die „durchaus realistische Möglichkeit, ihr eingesetztes Kapital in den nächsten drei bis vier Jahren zu verzehnfachen“. Doch die Risiken seien „wie bei allen Explorations-Unternehmen in einem so frühen Stadium überdurchschnittlich hoch“. Immerhin: Seit Jahresbeginn hat sich der Preis für das Alkalimetall verdoppelt. Eine Tonne Lithiumkarbonat in Batteriequalität für den chinesischen Markt kostet nach Angaben des Branchendienstes „Fastmarkets“ zwischen 71.000 und 75.000 Dollar.

Lithium gilt als Schlüsselrohstoff für die E-Mobilität. Es ist bislang unverzichtbar für die Batterieproduktion und wird es wohl auch für die nächsten zehn bis 20 Jahre sein, wie Chemie-Nobelpreisträger Stanley Whittingham auf der VW-Internetseite versichert. Zwischen 2008 und 2018 stieg die Jahresproduktion der wichtigsten Lithium-Förderländer von 25.400 auf 85.000 Tonnen; 2030 könnte die Weltnachfrage je nach Schätzung bei 316.300 bis 558.800 Tonnen liegen. Und in acht Jahren sollen nach dem Willen der Bundesregierung auf Deutschlands Straßen bis zu zehn Millionen E-Autos fahren. Der VW-Konzern versprach schon 2019, bis 2029 26 Millionen reine E- und sechs Millionen Hybrid-Autos weltweit zu verkaufen.

Doch reicht für solche ehrgeizigen Ziele das Lithium? Eine aktuelle Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) neigt zur Skepsis: „Selbst wenn alle aktuell geplanten und im Bau befindlichen Projekte im Zeitplan umgesetzt werden und wir von einem mittleren Nachfragewachstum ausgehen, werden wir nicht genug Lithium haben, um die erwartete weltweite Nachfrage 2030 zu decken“, erklärt BGR-Studienautor Michael Schmidt. „Es ist einfach nicht genug Lithium da, obgleich es geologisch gesehen keine knappe Ressource ist.“

Auch das Advanced Propulsion Centre (APC), ein Beratungsgremium von britischer Regierung und der dortigen Autoindustrie, ist nicht euphorisch: 2030 würden nicht die prognostizierten 40 Millionen E-Autos weltweit produziert werden, sondern aufgrund der Lithium-Lücke nur 25 Millionen. Die Lithiumförderung muß in den kommenden Jahren um den Faktor vier bis sieben ausgebaut werden, um die prognostizierten Bedarfe decken zu können. Und die Unsicherheiten sind groß, trotz weltweiter Lithium-Reserven von über 21 Millionen Tonnen.

Joe Biden hat Unternehmen zur Lithium-Produktion verpflichtet

Und die Konzerne und ihre oft „woken“ E-Autokäufer verlangen zudem „nachhaltig abgebautes Lithium“. Daher hat beispielsweise der Lithium-Lieferant Ganfeng 2021 ein erstes Memorandum of Understanding auf Wunsch von VW abgeschlossen, aber der chinesische Zulieferer bezieht den begehrten Rohstoff nicht nur aus mehreren Minen in Australien, sondern auch aus Chile. Dort aber klagen Einheimische seit der Lithium-Gewinnung in Salzpfannen (Salaren) über zunehmende Trockenheit, die die Viehnutzzug gefährde und Bäume absterben lasse. Einige Experten nehmen an, daß die Entnahme von Salzwasser zum Nachströmen von Süßwasser führt und damit den Grundwasserspiegel am Rand der Salare beeinflußt.

Dazu kommen politische Unwägbarkeiten in rohstoffreichen Ländern wie in Mali, dem Kongo, aber auch in Argentinien. In Mexiko wurde die Lithium-Industrie verstaatlicht, im inzwischen linksregierten Chile gibt es dazu Überlegungen. So liegt im Kongreß ein Gesetzentwurf vor, der den Lithiumabbau des Bergbauunternehmens Sociedad Química y Minera de Chile (SQM), einer der drei größten Produzenten weltweit, zum nationalen Interesse erklärt, was bedeutet, daß SQM enteignet werden könnte. Im Frühjahr hat US-Präsident Joe Biden den Defense Production Act von 1950 reaktiviert. Das Gesetz aus dem Korea-Krieg verpflichtet Industriebetriebe zur Produktion bestimmter Güter, dazu zählen Nickel, Kobalt, Graphit, Mangan – und Lithium. Die Europäer dürften, wie beim versprochenen Erdgas, das Nachsehen haben.

Zu große Abhängigkeiten von Australien und Chile sowie ein zu geringes Recyclingpotential alter E-Auto-Akkus beklagt die BGR-Studie. Perspektivisch sei zwar eine Recyclingquote von mehr als 75 Prozent denkbar, aber erst wenn ausreichend E-Autos vorhanden sind. Immerhin garantiert Frank Blome, Leiter des „Centers of Excellence Batteriezelle“ bei VW, für acht Jahre oder 160.000 Kilometer eine Mindestkapazität der Batterie von 70 Prozent. Toyota verspricht hingegen schon 90 Prozent – und das für zehn Jahre.

Daimler, VW, BASF und BMW haben sich darauf verständigt, nur Lithium aus „transparenten Quellen“ zu beziehen. VW will ab 2025 Batteriezellen selbst fertigen – mit Lithium, das die deutsch-australische Vulcan Energie Ressourcen GmbH mit Sitz in Karlsruhe ab 2024 in Haßloch aus dem Oberrheingraben „CO2-neutral“ fördern will. Allerdings gibt es auch dort Proteste, weil Anwohner sich übergangen fühlen und um die Sicherheit ihrer Häuser und der Gemeinde fürchten. Bürgermeister Tobias Meyer (CDU) verlangt von der Mainzer Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt (FDP), „daß gegen den ausdrücklichen Willen gemeindlicher Gremien in dieser Sache keine Entscheidungen getroffen werden können und die von mir geteilten Sorgen der Bürger ernst und wahrgenommen werden“.

Bleibt die Hoffnung auf die Forschungen an den nächsten Batterie-Generationen. So wurde seit 2014 die Energiedichte von Lithium-Ionen-Batterien verdoppelt, wodurch die größeren Reichweiten der Elektroautos möglich wurden. Aus Sicht von Nobelpreisträger Whittingham müßten die Ziele sein: Kosten senken, Energiedichte steigern und die Sicherheit erhöhen. Allerdings könnten maximal Batterien mit der doppelten Energiedichte im Vergleich zu heute gebaut werden. Es werde in der Lithium-Ionen-Technologie weiterhin spürbare Fortschritte geben – allerdings nicht mehr im bisherigen Tempo.

Der Chemiker träumt von einer „Batterie, in der wir reines Lithium-Metall verwenden, vielleicht einen salzigen Elektrolyten, ob nun anorganisch oder polymer. Ich denke, daß die Suche dorthin gehen wird. Das ist der Weg für die kommenden 20 Jahre, auf den wohl die meisten von uns ihr Geld setzen würden“. Den nächsten großen Sprung, so Whittingham, bringe wahrscheinlich die Feststoffbatterie. Diese werde eine noch größere Energiedichte und damit eine größere Reichweite haben als heutige Lithium-Ionen-Akkus. Außerdem sind sie kostengünstiger und ermöglichen kürzere Ladezeiten. Bis zum industriellen Einsatz in der Großserie wird es aber noch dauern. Und: Gibt es dann überhaupt genug Strom für all die Elektroträume?