© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/22 / 19. August 2022

GegenAufklärung
Kolumne von Karlheinz Weissmann

Das ausgeprägte Freund-Feind-Denken der Linken hat damit zu tun, daß ihr das Nicht-verstehen-Wollen liegt.

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„Dabei könnte das Auftauchen einer neuen Rechtspartei die Politik eines Landes in Bewegung bringen: Polemiken, Analysen, Anwürfe und Kampagnen wechselten einander ab und günstigstenfalls wären hinterher (fast) alle ein wenig schlauer als zuvor. Doch fehlt in der Bundesrepublik bereits der vitale sportliche Ehrgeiz, dem innenpolitischen Kontrahenten ordentlich zuzusetzen. Kann es da weiter verwundern, daß die ungehemmte öffentliche Debatte ihre regulierenden Selbstheilungskräfte nicht entfalten kann, sondern jedes brisante Problem unversehens zur Verwaltungsaufgabe einer staatlich betriebenen Politikhygiene mißrät? Mit diesem grauen Brot der Depression werden wir uns bis auf weiteres zu befassen haben: statt Verschärfung der Kommunikation – ängstliches Schielen nach ‘Ämtern für Verfassungsschutz’. Deren Tätigkeit ist (…) noch immer so eng mit dem tief verwurzelten Glauben der Westdeutschen an das Märchen von der stets gefahrenumlagerten Demokratie verbunden, die aus dem Hitler-Reich bittere Lehren habe ziehen und daher sich ‘streitbar’, ‘wehrhaft’ oder wer weiß noch was habe gebärden müssen, daß selbst Kritiker der Verfassungsschutzpraxis diesen Glauben teilen, auch wenn ihnen hier und da das Observieren und Speichern entschieden zu weit geht.“ (Horst Meier, Jurist, angesichts der Pläne zur „Beobachtung“ der Republikaner durch den Verfassungsschutz in der tageszeitung vom 10. März 1990)

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Dazu gelernt: „Politik ist Showbiz für häßliche Menschen“ (exakter Ursprung nicht geklärt).

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Eine Untersuchung der Times hat ergeben, daß in Großbritannien mehr als eintausend Bücher an den Hochschulen des Landes zukünftig mit sogenannten Trigger-Warnungen versehen werden und andere ganz von den Leselisten der Studenten verschwinden, um zarte Gemüter zu schonen. So hat die Universität von Essex beispielsweise beschlossen, „Underground Railroad“ des Pulitzer-Preisträgers Colson Whitehead dauerhaft zu entfernen, weil der Roman explizite Darstellungen von Sklaverei enthält. In Sussex ist Strindbergs „Fräulein Julie“ auf dem Index gelandet, weil das Stück Fragen des Selbstmords behandelt. In Aberdeen werden angehende Leser Geoffrey Chaucers und anderer mittelalterlicher Autoren informiert, daß deren Texte emotional „fordernd“ sein könnten. Trigger-Warnungen haben im übrigen auch Werke von Shakespeare, Jane Austen, Charlotte Brontë, Charles Dickens und Agatha Christie erhalten. Wie groß die Zahl der Zensurfälle ist, kann allerdings nicht genau bestimmt werden, da die Times auf freiwillige Auskünfte der Universitäten angewiesen war.

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Des einen Regimekritiker, des anderen Verfassungsfeind.

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Überforderung, systemisch: In den USA kann nur noch die Hälfte der Mordfälle aufgeklärt werden, jeder zweite Täter kommt davon; in Frankreich haben dieses Jahr bloß 86 Prozent der Schüler das baccalauréat – die Abschlußprüfung des Gymnasiums, das Äquivalent unseres Abiturs – bestanden; da ein gut Teil des Französischen kaum mächtig ist, wurden die Noten durch das Erziehungsministerium angehoben, trotzdem fiel die Rate gegenüber 2021 um fünf Prozent; die Innenministerin will das Problem der Duldung von abgelehnten Asylbewerbern dadurch lösen, daß sie ihnen nach fünf Jahren Aufenthalts den deutschen Paß schenkt.

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„Um hier richtig verstanden zu werden: Es ist Nonsens, das Wort ‘rechts’ als Schimpfwort zu verwenden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß es in der deutschen medial-politischen Debatte zum guten Ton gehört, nicht rechts zu sein – und das auch regelmäßig zu betonen. Wenn man an dieser Einteilung überhaupt festhalten möchte, gibt es eben das politisch linke und das politisch rechte Lager (und irgendwo anders die Liberalen) – nichts von beidem ist per se schlecht, es sind legitime politische Selbstverortungen, die wiederum auf der legitimen Andersgewichtung von Werten fußen.“ (Anna Schneider, Chefreporterin, in Die Welt, Online-Ausgabe vom 13. August)

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Der Große Austausch: An einem Zebrastreifen, Samstagabend in der Innenstadt von Dundee, Schottland. Gegenüber steht eine Familie orientalischer Herkunft, der Vater, die Mutter, beide in die Jahre gekommen, dazu zwei jugendliche Söhne und drei Töchter, alle in europäischer Kleidung, leger aber ordentlich. Sie warten geduldig darauf, daß die Ampel „Grün“ zeigt. Plötzlich stürmt aus dem nahegelegenen Bahnhof ein Trupp halbwüchsiger Mädchen, grell lackiert, die Gewandung auf das Minimum dessen beschränkt, was die Witterung gerade noch erlaubt, gackernd, kichernd, kreischend, und läuft bei „Rot“ über die Straße, was einige Autofahrer zum abrupten Bremsen zwingt. Die Menschen mit Migrationserfahrung bleiben derweil stehen und beobachten das Treiben der Eingeborenen mit stoischer Miene, man meint auch ein gewisses Maß Verachtung zu bemerken. 



Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am

2. September in der JF-Ausgabe 36/22.