© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/22 / 19. August 2022

Die ewige Melodie des Wassers
Claus-M. Wolfschlag

Der trockene Hitzesommer hat die Problematik von Wasser und unserem Umgang mit diesem einmal mehr in die öffentliche Debatte getragen. Das konnten diejenigen, die im Frühjahr zwei Ausstellungen zum Thema für das Hessische Landesmuseum in Wiesbaden gestaltet haben, noch nicht ahnen. Vielmehr wollte das Museum nur das von der Wiesbadener Stadtpolitik ausgerufene „Jahr des Wassers“ gebührend mitfeiern. Das Museum verweist schließlich darauf, daß Wiesbaden seit der Römerzeit für seine Thermalquellen bekannt ist. Von diesen gibt es 27 in der Stadt, aus denen täglich zwei Millionen Liter Wasser sprudeln. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Wiesbaden deshalb zu einem der bedeutendsten Kurbäder in Europa.

Kunst von höchster Qualität in einem überschaubaren Umfang 

Die bis 5. Februar gezeigte Sonderausstellung „Vom Wert des Wassers. Alles im Fluß?“ ist der naturhistorische Part der so entstandenen Doppelschau. Kurator Hannes Lerp äußerte zu ihrer Absicht: „Die Ausstellung thematisiert so auch wichtige Zukunftsfragen. Der Wert des Wassers steigt. Klimawandel, Versiegelung und Agrarindustrialisierung setzen dem Wasser zu. Wir wollen zeigen, welche Entwicklungen bevorstehen und wie nachhaltiges Handeln zum Schutz des Wassers beiträgt und hilft, daß alles im Fluß bleibt.“ Auf 800 Quadratmetern wurde daraus eine naturhistorische Ausstellung „für die ganze Familie“ konzipiert, allerdings leider museumspädagogisch überfrachtet. Hier kann man etwas an der 3D-Wand erspielen, dort Rätseltüren öffnen, drüben Videostellungnahmen ansehen, ansonsten Unmengen an Text lesen. In dieser unübersichtlichen Präsentation sind die traditionellen Vitrinen und Naturmodelle wie besinnliche Ruhepole, seien es unterschiedliche Fische oder Insekten, Kanalisationsbewohner oder historische Wasserrohre, die dort zu betrachten sind.

Ganz anders zeigt sich der bis zum 23. Oktober besuchbare künstlerische Teil der Doppelschau. Die Ausstellung „Wasser im Jugendstil. Heilsbringer und Todesschlund“ präsentiert ihre gut 200 Exponate auf der verhältnismäßig kleinen Fläche von 350 Quadratmetern. Eigentlich handelt es sich nur um einen, im Gegensatz zum naturhistorischen Part, sehr übersichtlich gestalteten Raum. An den Wänden hängen Gemälde, Vitrinen in der Raummitte zeigen kunstgewerbliche Erzeugnisse. Der überschaubare Umfang der Ausstellung kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß in diesem Raum bemerkenswerte Kunst von höchster Qualität versammelt wurde. Fast alles von Rang und Namen in der deutschen Jugendstilkunst ist unter den gezeigten Malern zu finden: Hans Thoma, Max Klinger, Franz von Stuck, Fritz Erler, Karl Wilhelm Diefenbach. Mit vier Bildern dürfte wohl Hugo Höppener alias Fidus der Einzelkünstler mit den meisten gezeigten Werken dieser vielfältigen Schau sein. Dem Besucher begegnen somit zahlreiche Szenen jenes Imaginationsraums, den das Wasser für die Gesellschaft des beginnenden 20. Jahrhunderts anbot: tosende Meereslandschaften, ausgelassene Strandbesucher und geheimnisvoll-düstere Wasserweiber. 

Ist das kunstgewerbliche Gut oft nur Beiwerk in von Gemälden dominierten Ausstellungen, so herrscht in der Wiesbadener Schau qualitative Parität. Das ist natürlich nur möglich aufgrund der außerordentlichen Blüte, die das Kunstgewerbe vor 120 Jahren erlebte. Fische finden sich auf asiatisch beeinflussten Kachelfriesen und an edlem Silberbesteck. Seerosen blühen auf goldenen Ansteckbroschen. Vasen zeigen Wellendekor oder werden von großen Krebsen bekrochen. Es ist wie ein Bad für die Sinne, in das Wasser des Jugendstils einzutauchen und darin seine zahlreichen kleinen Bewohner zu entdecken.


Die Ausstellung „Wasser im Jugendstil. Heilsbringer und Todesschlund“ ist bis zum 23. Oktober im Hessischen Landesmuseum für Kunst und Natur, Friedrich-Ebert-Allee 2, Wiesbaden, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Samstag und Sonntag bis 18 Uhr, Dienstag und Donnerstag bis 20 Uhr, zu sehen.

 https://museum-wiesbaden.de



Agnes de Frumerie/Edmond Lachenal, Ondine oder die Welle, um 1900/01


Walter Crane, Die Rosse des Neptun, Öl auf Leinwand 1892: Anmutung einer Brandung