© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/22 / 19. August 2022

Ein Morden auf allen Straßen
Die Bartholomäusnacht am 24. August 1572 markiert einen Höhepunkt im französischen Religionskrieg zwischen Katholiken und Calvinisten
Jan von Flocken

Vom Glockenturm der spätgotischen Kirche St. Germain l’Auxerrois nahe des Louvre-Palastes ertönte um 3 Uhr früh ein gewaltiges Läuten. Doch es rief nicht die Frommen zum Gottesdienst an diesem 24. August 1572. Vielmehr begann damit in Paris ein kaltblütig geplanter Massenmord, der seinesgleichen in der Geschichte sucht – die Bartholomäusnacht, benannt nach dem Tagesheiligen, dem Apostel Bartholomäus. Ebenso treffend ist die Bezeichnung „Pariser Bluthochzeit“. Die Verantwortlichen für dieses Massaker standen an der Spitze des französischen Staates.

Katharina de Medici gab den Anstoß zur Hugenottenverfolgung

Seit Mitte des 16. Jahrhunderts tobte in Frankreich ein Religionskrieg. Die in Europa vordringende Reformation hatte in ihrer calvinistischen Variante auch auf Teile des Landes übergegriffen. Da der Calvinismus, eine rigide Form des Evangelischen Glaubens, aus der Schweizer Gegend kam, wurden seine Anhänger „Eidgenossen“ oder „Hugenotten“ (huguenots) genannt. Die vom spanischen König unterstützten Katholiken und die Hugenotten bekämpften einander mit erbitterter Wut. Das Land wurde provisorisch von Katharina de Medici regiert, der Mutter des unmündigen Königs Karl IX. Sie war als junges Mädchen 1533 mit dem französischen Thronfolger Henri, dem späteren König Heinrich II., vermählt worden. Nach dessen Tod 1559 führte sie die Regentschaft für insgesamt drei Söhne.

Die Schranzen des Hofadels machten sich lustig über die „dicke Florentiner Kaufmannsfrau“. Doch diese Dame verfügte über einen exzellenten politischen Instinkt. Ausschließlich an der Souveränität der Krone orientiert, lavierte sie erfolgreich zwischen den verfeindeten Fraktionen. „Katharina verhandelte, intrigierte, drohte, schmeichelte und log“, schreibt Friedrich Sieburg in seiner „Französischen Geschichte“. Nach dem sogenannten Blutbad von Vassy im März 1562, als in dem Champagne-Städtchen katholische Söldner einen hugenottischen Gottesdienst überfielen und Dutzende ermordeten, eskalierte die Situation. Katharina gab ihre Vermittlungspolitik auf und hielt es fortan mit der Familie de Guise, deren Oberhaupt Henri gleichzeitig Führer der katholischen Partei war. Die Gegenseite repräsentierte der Admiral Gaspard de Coligny, ein erfolgreicher Heerführer in den Feldzügen gegen Spanien.

Nach zahlreichen Gefechten kam es 1570 endlich zu einem Friedensschluß zwischen den religiös-politischen Parteien. Bald danach schwand der Einfluß von Henri de Guise, während Coligny in Paris den jungen König Karl in seinen Bann zog und schließlich wie Frankreichs eigentlicher Herrscher agierte. Die Hugenottenführer glaubten an eine mögliche Versöhnung mit dem einstigen Gegner. Daher hielt man es für ein gutes Omen, als Katharina de Medici eine Heirat ihrer Tochter Margarethe mit dem Hugenotten Heinrich von Navarra anbot. Die Hochzeitsfeierlichkeiten sollten vom 18. bis 21. August 1572 stattfinden. Sämtliche militärischen und politischen Führer der Hugenotten folgten der Einladung nach Paris. Dort liefen sie ahnungslos in die Falle. 

Als Coligny am Vormittag des 22. August 1572 auf dem Rückweg vom Louvre kam, schoß ein Attentäter auf ihn; sein Leben wurde nur durch einen glücklichen Zufall gerettet – angeblich habe der Admiral sich beim Schuß gebückt, um seine Schuhe zu binden. Die Auftraggeber des Anschlages wurden nie ermittelt. Da Coligny aber erheblich verwundet worden war, riefen seine Anhänger nach blutiger Rache. Es drohte ein Aufstand gegen den Thron.

Katharina de Medici setzte sich daraufhin mit ihren drei italienischen Beratern zusammen, weihte hernach ihren jüngeren Sohn Herzog Heinrich von Anjou sowie Henri de Guise ein. Man wollte die einmalige Gelegenheit ausnutzen, daß alle Hugenottenführer an einem Ort versammelt waren. In der Nacht zum 24. August sollte ein koordinierter Schlag gegen die Oberhäupter, nicht aber ein Massenmord, stattfinden. Die Akteure trugen als Erkennungszeichen eine weiße Schleife am Hut sowie weiße Armbinden und malten nachts heimlich mit Kreide weiße Kreuze an bestimmte Häuser. Der psychisch labile König Karl IX. wurde erst kurz zuvor informiert. Anfangs äußerte er große Bedenken. Als man ihn aber der Feigheit und Unmännlichkeit bezichtigte, schwenkte der 22jährige um.

Man vergaß auch die Bürgerschaft der Hauptstadt nicht, sie wurde eingeweiht. Claude Marcel, Vorsteher der Kaufmannsgilde, und der Polizeivogt Jean Le Charron waren fanatische Katholiken und versicherten Katharina, daß alle Pariser die Ermordung der hugenottischen Führer mit Freude begrüßen würden. Allerdings hegten Henri de Guise und seine Anhänger noch mörderischere Pläne. Nach dem Glockenschlag 3 Uhr wurden auf allen Plätzen Wachen aufgestellt und die größeren Straßen durch Ketten abgesperrt.

Wenig später brach in Paris ein Morden los, das an Schrecknissen kaum zu überbieten ist. „Hier wurde einem Greise das graue Haupt an den Steinen zerschlagen, dort starke Männer, die in vielen Schlachten ruhmvoll gekämpft hatten, von elenden Buben zu Tode gemartert“, berichtet ein Augenzeuge. „Mit der Kraft der Verzweiflung wehrte sich dort eine Mutter; umsonst! Ihr Kind wurde ihr aus den Armen gerissen und vor ihren Augen an der Mauer zerschmettert. Leichname wurden aus den Fenstern hinabgeworfen und durch die Straßen gezerrt; schreiende Wickelkinder wurden in kleinen Rollwagen fortgeführt und in die Seine geworfen.“

Heinrich von Navarra organisierte die Hugenottenpartei neu

Der verwundete Admiral de Coligny wehrte sich in seinem Quartier in der Rue de Béthizy heftig; seine Widersacher, Gardisten aus der Schweiz, warfen ihn tot aus dem Fenster und er fiel in die ausgestreckten Spieße der Soldaten. Anschließend versetzte Henri de Guise dem Toten einen Fußtritt und schrie: „Der Anfang war gut, meine Freunde! Fort jetzt zu neuen Taten. Schont keinen Hugenotten!“

Das Gemetzel zog sich über Stunden hin. Karl IX. blickte mit seiner Mutter aus einem Fenster des Louvre-Palastes. Angeblich soll er persönlich mit einer Flinte auf Fliehende geschossen haben. Am Abend des 24. August lagen etwa 3.000 Hugenotten in ihrem Blut. Einzig der frischgebackene Bräutigam Heinrich von Navarra entkam den Mörderbanden, die ihn durch sämtliche Gemächer des Louvre-Palastes jagten und floh bei Nacht und Nebel in sein kleines Königreich. 

Die von England unterstützte Hugenottenpartei war damit zwar kurzzeitig paralysiert, fand aber in Heinrich von Navarra, dem späteren König Heinrich IV. von Frankreich, einen neuen tatkräftigen Führer. Tausende Hugenotten flohen in ihre sicheren Stützpunkte, die Städte La Rochelle, Montauban und Nîmes. Der Bürgerkrieg ging weiter. Selbst unter dem Blickwinkel kalter Staatspolitik ist die Bartholomäusnacht ein Fehlschlag gewesen. 


Bild:  François Dubois, „Le massacre de la Saint-Barthélemy“, Gemälde 1584: Das Gemetzel an über 3.000 Hugenotten zog sich über Stunden hin