© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/22 / 19. August 2022

Im Feuer der Eigenen gefallen
Michael Collins Tod im irischen Unabhängigkeitskampf 1922
Marcel Waschek

Daß der Konvoi in den frühen Abendstunden 22. August1922 nochmals über die Landstraße in der hügligen irischen Graslandschaft Cork fahren sollte, hatten die Angreifer, fanatische Gegner des von ihren Landsleuten ausgehandelten Ausgleichs mit London, nicht mehr erwartet. Zwei Kämpfer waren dabei, eine zuvor verlegte Mine wieder zu entschärfen, die meisten waren schon nach Hause gegangen. Aber auch die Soldaten in dem Konvoi rechneten nicht mit dem Hinterhalt. Als die Kolonne vor der Straßenblockade stehenblieb, eröffneten die wenigen Verbliebenen das Feuer. Michael Collins, dem der Anschlag galt, sprang aus dem Fahrzeug und feuerte mit seinem Gewehr auf die Angreifer und rannte hinter eine Straßenbiegung. Dort traf Collins eine tödliche Kugel in den Kopf. 

Michael Collins wurde am 16. Oktober 1890 in eine wohlhabende irische Familie geboren. Bereits in jungen Jahren begeisterte er sich für keltische Kultur. Mit 15 zog er nach London, begann eine Ausbildung als Bankangestellter und organisierte sich im Kreis politisch aktiver Iren. 1909 trat Collins der Bráithreachas Phoblacht na hÉireann bei, welche die Unabhängigkeit Irlands zum Ziel hatte. 1916 kehrte Collins zurück auf die Grüne Insel. Dort besetzte er zusammen mit Éamon de Valera und anderen Rebellen am Ostermontag das Postamt von Dubline, was heute als Beginn des irischen Unabhängigkeitskriegs gedeutet wird. Die britische Armee konnte den Osteraufstand innerhalb von fünf Tagen niederschlagen, Collins geriet bis Dezember 1916 in Haft.

1918 folgte die Wahl ins britische Unterhaus für die irisch-nationalistische Partei Sinn Féin. Seinen Sitz lehnte er jedoch ab, da er die britische Herrschaft über Irland und damit auch das britische Unterhaus für unrechtmäßig hielt. Stattdessen richtete er zusammen mit den anderen Sinn-Féin- Abgeordneten im Januar 1919 ein irisches Gegenparlament ein. Im April 1919 wurde de Valera Príomh Aire des Dáil Éireann (Vorsitzender der irischen Regierung). Collins wurde zum Finanzminister ernannt und im September 1919 Chef des irischen Geheimdienstes, welcher Teil der Irish Republican Army war. Während de Valeras USA-Aufenthalt übernahm Collins als Vertrauter viele von dessen Aufgaben.

Den seit 1920 immer heftiger aufflammenden Unabhängigkeitskampf gegen die Briten beendete Collins am 11. Juni 1921 mit einem Waffenstillstand, ein Friedensvertrag folgte am 6. Dezember des Jahres. Der Anglo-Irische Vertrag sah unter anderem vor, das mehrheitlich protestantische nordirische Ulster Großbritannien zuzuschlagen. Vertragsbefürworter wie Collins befürchteten, daß sich das Empire nicht mit anderen Forderungen abfinden und Irland erneut besetzen würde, während Vertragsgegner wie de Valera den Vertrag als nicht hinnehmbar sahen, was an den Rand eines Bürgerkriegs führte. Collings ahnte, daß die Vertragsgegner ihn als Unterzeichner ins Visier nehmen sollten: „Ich habe womöglich mein tatsächliches Todesurteil unterschrieben.“ Die Umstände, die zum Tod von Michael Collins geführt haben, liegen bis heute im dunkeln. Ob de Valera, der sich zur Zeit des Anschlags im selben County aufhielt, dabei die Fäden zog, bleibt unklar.