© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/22 / 19. August 2022

Umwelt
Heizen und Kühlen
Paul Leonhard

Im Bodensee schlummert das Potential eines mittleren AKWs. Diese Energie ließe sich im Sommer zum Kühlen und im Winter mittels Wärmepumpen zum Heizen nutzen. Die Uni Konstanz kühlt schon seit 50 Jahren mit dem Tiefenwasser Bibliothek, Hörsäle und Rechenzentrum. Der Physikprofessor Alfred Wüest (ETH Lausanne) hat bereits vor acht Jahren das Schwabenmeer mit einer „großen Badewanne mit großen Städten als Energieabnehmer außen herum“ verglichen. Der Stadtrat von Bregenz will künftig das Seewasser nutzen, um das neue Hallenbad und das Festspielhaus zu heizen bzw. zu kühlen. Und der Kanton Thurgau will mit Unterstützung von 14 Gemeinden bis zu fünf Seethermie-Kraftwerke am Bodensee errichten. Die Schweizer rechnen mit Kosten von 25 Millionen Franken. Ihnen nutzen die Erfahrungen, die am Genfer und Zürichsee sowie am Wohlensee bei Bern gemacht wurden. Und: So wird die Schweiz unabhängiger von Energieimporten. Laut einer Studie könnten mehr als zehn Prozent der bisher mit Öl oder Gas gewonnenen Energie durch die Seewärme ersetzt werden.

Wie sich die energetische Nutzung des Bodensees auf die Natur auswirkt, ist umstritten.

Allein das am Schweizer Bodenseeufer nutzbare Wärmepotential wird auf 2.800 Gigawattstunden (GWh), das Kühlpotential auf 1.400 GWh pro Jahr geschätzt, bei einem Wärmebedarf der Gemeinden von 1.260 GWh. Das Verfahren ist einfach, aber umstritten: Bei der Seethermie wird vier Grad kaltes Bodenseewasser aus 54 Meter Tiefe entnommen, mit Hilfe eines Wärmetauschers im Sommer gekühlt und im Winter geheizt und das Wasser anschließend wieder in den See eingelassen. Während die einen das Verfahren für „klimaschonend“ halten, befürchten Naturschützer, daß höhere Wassertemperaturen im Winter das vertikale Mischungsverhalten verändern. An die thermische Schichtung sei aber das Planktonwachstum gekoppelt, das sich auf die Fische auswirkt. Schweizer Wissenschaftler entgegnen, daß bei einer Abkühlung von 0,5 Grad beziehungsweise einer Erwärmung um 0,2 Grad keine negativen Folgen zu erwarten seien.