© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/22 / 26. August 2022

Mein Name ist Olaf, ich weiß von nichts
Schwere Zeiten für Scholz: Von Abbas bis Cum-Ex – der Kanzler ohne Erinnerung taumelt von einer Krise in die nächste
Christian Vollradt

Da war er wieder, der Gesichtsausdruck des Olaf Scholz, den Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) einst gereizt als „schlumpfiges Grinsen“ bezeichnet hatte. Verschmitzt lächelte der Bundeskanzler und riskierte einen seitlichen Blick, als zwei Frauen während eines Fotos mit ihm ihre Brüste zeigten, auf die sie die Forderung nach einem sofortigen Gas-Embargo gepinselt hatten. Diese medienwirksame Störung beim Tag der offenen Tür im Kanzleramt dürfte Scholz also als kleinstes, vielleicht sogar nicht reizarmes Übel verbucht haben. Und verglichen mit all dem übrigen Ungemach der jüngsten Zeit war es das wohl auch.

Den kommunikationstechnischen Super-Gau leistete sich Scholz’ Haus am Dienstag abend vergangener Woche beim Treffen mit dem Chef der Palästinenser-Autnomiebehörde, Mahmud Abbas. Der wurde auf der abschließenden Pressekonferenz gefragt, ob er sich 50 Jahre nach dem Attentat auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen in München nicht  entschuldigen wolle. Abbas, dessen PLO seinerzeit zu den Unterstützern der Terroristen gehörte, wies das brüsk zurück und behauptete, Israel habe bis heute „50 Massaker, 50 Holocausts“ an den Palästinensern begangen. Der daneben stehende deutsche Kanzler schwieg zu dieser Behauptung und nannte sie erst später in einer Presseerklärung „völlig unakzeptabel“. Eine Relativierung des Holocaust – und „dies auch noch auf deutschem Boden“ – sei „völlig unentschuldbar“. Die Verantwortung für die Panne, Abbas nicht umgehend widersprochen zu haben, mußte Scholz’ Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf seine Kappe nehmen. Der zeigte sich auch pflichtschuldigst einigermaßen zerknirscht. Er habe die Pressekonferenz zu früh für beendet erklärt, räumte Hebestreit ein. 

Gegen Ende der Woche mußte der Kanzler dann erneut im Parlamentarischen Untersuchungsausschuß in Hamburg aussagen. Hatte er als damaliger Erster Bürgermeister der Hansestadt dafür gesorgt, daß die in den Cum-Ex-Skandal verstrickte Warburg-Bank zunächst ihre Steuerschulden nicht begleichen mußte? Nein, wiederholte Scholz und fügte sein Mantra an: Nur Mutmaßungen und Unterstellungen seien gegen ihn gerichtet. Es habe „keine Beeinflussung des Steuerverfahrens durch die Politik gegeben“. Worüber man denn bei den nachweislich stattgefundenen Treffen mit den Bank-Eigentümern gesprochen habe? Daran konnte sich der Kanzler wieder einmal partout nicht erinnern. 

Nur ein Viertel ist mit der Arbeit des Kanzlers zufrieden

Daß sich die Chefs eines in schwere See geratenen Geldinstituts mit den politisch Verantwortlichen des Stadtstaates treffen, ohne davon auszugehen, diese würden entsprechend Einfluß auf den weiteren Gang der Dinge nehmen – und zwar in ihrem, der Bankiers, Sinne –, ist freilich wenig plausibel. Doch der Jurist Scholz weiß, daß er als Zeuge vor Gericht oder in einem Untersuchungsausschuß nicht die Unwahrheit sagen darf. Also kann er sich auf die Schwäche des Gedächtnisses berufen und immer wieder behaupten, er könne sich an den Inhalt der Gespräche nicht mehr erinnern. 

„Olaf Scholz hat das Vergessen zu einer Kunst erhoben“, resümiert der Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Krzysztof Walczak (AfD) sein vergebliches Bemühen, dem Gedächtnis des Bundeskanzlers im Untersuchungsausschuß am vergangenen Freitag etwas auf die Sprünge zu helfen. Bei so vielen Erinnerungslücken sollte der Regierungschef und frühere Erste Bürgermeister der Hansestadt „lieber wie Warburg-Bankier Olearius Tagebuch führen“. Mit Scholz könne und werde es keine Aufklärung geben – „meine Hoffnung liegt auf der Staatsanwaltschaft Köln, die weiter im Umfeld von Scholz ermittelt“, sagte Walczak der JUNGEN FREIHEIT. In der Tat hatten die Ermittler am Rhein die bisher brisantesten Ergebnisse ans Licht gebracht. 

Nun will die Union im Bundestag das Thema Cum-Ex in einer Sondersitzung des Finanzausschusses erneut auf die Tagesordnung setzen lassen und Scholz dafür vor das Gremium laden. Was der allerdings bei einer solchen Anhörung zu Protokoll geben wird, ist mit wenig Phantasie vorherzusagen: Er könne sich an Details nicht erinnern. 

Mag er damit auch diese nächste Klippe umschiffen, ist der Vertrauensverlust beim Wähler mit Händen zu greifen. Laut der aktuellen Umfrage von Insa ist nur noch ein Viertel der Befragten mit der Arbeit des Bundeskanzlers zufrieden, während 62 Prozent sie negativ bewerten. Bleibt es bei diesen Werten oder gehen diese analog zu den steigenden Energiepreisen sogar weiter nach unten, dürfte Scholz das „schlumpfige Grinsen“ (Söder) noch vergehen.