© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/22 / 26. August 2022

Unbeliebt, unterschätzt und doch unersetzlich
Plakate statt Facebook: Die Deutschen nehmen den Wahlkampf immer noch am häufigsten auf Papier und nicht im Internet wahr
Christian Vollradt

Deutschlands Parteien geben sich lagerübergreifend gern modern, schwören auf die Reichweite der sozialen Medien, setzen sogenannte „Influencer“ ein, mit denen sie ihre Positionen und Parolen an den Mann respektive an die Frau bringen wollen. Doch obwohl der digitale Stimmenfang von Wahl zu Wahl an Bedeutung zuzunehmen scheint, ist der erfolgreichste Werbeträger immer noch ein analoger: das Plakat. 

Wahlplakate gelten als von gestern, altbacken. Aber trotz ihres schlechten Rufs und obwohl sich viele Leute eher genervt von den vor jeder Wahl vollplakatierten Laternenpfählen zeigen, ist die Propagandaplattform aus Papier, Kleister und Sperrholz immer noch die vielversprechendste Form der Wähleransprache. Zu diesem Ergebnis kommt eine nun veröffentlichte Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung. Im Auftrag der CDU-nahen Institution haben die Meinungsforscher von Infratest dimap nach der Bundestagswahl im vergangenen Herbst 4.000 zufällig ausgewählte Personen über 18 Jahre in Deutschland befragt. Und siehe da: Über 90 Prozent der Deutschen erinnerten sich rückblickend daran, im Bundestagswahlkampf 2021 mindestens ein Wahlkampfplakat wahrgenommen zu haben. Damit liegt diese Werbeform mit großem Abstand vor allen anderen – und zwar unabhängig davon, wie alt der Bertrachter ist und welche Parteipräferenz er hat. „Es ist langweilig. Es ist erfolgreich“, faßt Wahlforscher Jochen Roose von der Adenauer-Stiftung das Ergebnis zusammen. 

Nur ein Drittel findet Wahlwerbung interessant

Auf Platz 2 landete die klassische Postwurfsendung, an die sich 65 Prozent der Befragten erinnerten. Und genauso analog und althergebracht geht es weiter: An einen Infostand im Straßenwahlkampf denken 57 Prozent, an eine Anzeige in einer gedruckten Zeitung 39 Prozent. Nur ein Drittel kann sich dagegen an Wahlwerbung in sozialen Medien wie Facebook, Twitter oder Instagram erinnern; bei älteren ist diese Quote noch niedriger. „In der Altersgruppe von 18 bis 35 Jahre haben 68 Prozent Wahlwerbung in sozialen Medien gesehen, während es bei den 50- bis 64jährigen 21 Prozent sind und in der Altersgruppe darüber 11 Prozent“, schreiben die Studien-Autoren. Noch seltener sind Kontakte an der Haustür, bei denen Wahlberechtigte persönlich angesprochen werden. 14 Prozent berichteten den Befragern von mindestens einem solchen Treffen mit einem Parteifunktionär oder Kandidaten. 

Parteiübergreifend ist das Phänomen, daß die Befragten die Werbung der Partei, die sie gewählt haben, überproportional häufiger wahrnehmen als die anderer Parteien. Schwer zu erforschen und zu beantworten ist die Frage, was die Wahlberechtigten am ehesten überzeugt. Kann Werbung jemanden noch umstimmen? Das ist umstritten, geben die Autoren zu. Rund die Hälfte der Wähler hat sich bereits lange vor der Wahl entschieden, ein Drittel tut es kurzfristig. „Je länger vor der Bundestagswahl die Wahlentscheidung getroffen wurde, umso geringer ist die grundsätzliche Wechselwahlbereitschaft“, obwohl immerhin noch 25 Prozent der langfristig Entschiedenen dennoch im Laufe des Wahlkampfs schwankten.

Ausnahme: „DieWählerschaft der AfD war deutlich häufiger als die der anderen Parteien früh entschieden“, stellten die Forscher fest. Einer der Gründe für die vielen Stammwähler: Die AfD unterscheidet sich in den von ihr vertretenen Positionen so deutlich von allen anderen Parteien, daß ihre Wähler sich „außer der AfD keine andere Partei für ihre Wahl vorstellen können“. Die Kehrseite der Medaille: Die AfD kann „weniger als alle übrigen Parteien kurzfristig noch Wähler hinzugewinnen“. Das Problem der „Blase“ wird auch anderswo sichtbar: „Während 11 Prozent aller Wahlberechtigten Werbung der AfD in den sozialen Medien wahrgenommen haben, sind es unter den Wählern der AfD 37 Prozent, also 26 Prozentpunkte mehr.“ 

Generell gilt der Studie zufolge, daß der Wahlkampf fast alle erreicht, aber nur ein Drittel ihn als interessant bewertet. 52 Prozent stimmen der Aussage zu, keine Partei habe sie im Wahlkampf richtig überzeugt. Dennoch lohne sich der ganze Aufwand, meinen die Forscher. Plakate sprechen „ungezielt ein breites Publikum“ an. Politiker werden also noch eine ganze Weile an den Laternen hängen – zweidimensional, lächelnd, versteht sich.