© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/22 / 26. August 2022

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Hinein in den vergoldeten Herbst
Paul Rosen

Nach dem Ende der politischen Karriere einen hochbezahlten Job in der Wirtschaft oder bei einem Lobbyistenverband zu übernehmen und dann dort viel Geld zu verdienen ist der Traum vieler deutscher Politiker.

Besonders bekannte Fälle solcher Ehemaligen, die in die Wirtschaft gingen, sind neben dem Putin-Freund und ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder der frühere Chef des Bundeskanzleramtes, Roland Pofalla. CDU-Mann Pofalla wurde bei der Deutschen Bahn Vorstand für Infrastruktur. Geholfen hat es dem mit Rekordverspätungen und Zugausfällen kämpfenden Unternehmen nicht.

Nachdem sich in Berlin eine ganze Heerschar ehemaliger Minister, Staatssekretäre und hoher Beamter in Unternehmensvertretungen und Lobbyistenvereinen eingenistet hatte, geriet die Politik unter starken Druck, weshalb im Bundesministergesetz eine Karenzzeitregelung eingeführt wurde. Danach müssen ehemalige Minister und Staatssekretäre neue Tätigkeiten innerhalb der ersten 18 Monate nach Ende ihrer Amtszeit melden. Ein eigens eingerichtetes Karenzzeitgremium mit dem früheren Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU), der ehemaligen Hamburger Wirtschaftssenatorin Krista Sager (Grüne) und dem früheren Verfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle gibt dann Empfehlungen an die Bundesregierung ab, ob beim Ex-Politiker die Kasse klingeln kann oder Fastenzeit angesagt ist. Die Aufnahme der neuen Tätigkeit kann bis zu einer Dauer von 18 Monaten nach Ende der Amtszeit untersagt werden, soweit sie in Bereichen erfolgt, die mit dem früheren Amt in einem engen Zusammenhang stehen.

Kein Problem sahen Karenzzeitgremium und Bundesregierung bei Ex-Kanzlerin Angela Merkel, die den Vorsitz der Jury des Gulbenkian-Preises für Menschlichkeit übernehmen wollte. Der Preis wird von einer portugiesischen Stiftung vergeben. Von den ehemals 56 Mitgliedern des Kabinetts Merkel (inklusive parlamentarische Staatssekretäre) sollen bisher 15 eine neue Tätigkeit gemeldet haben. In fünf Fällen sei eine solche entweder ganz oder teilweise untersagt worden.

Ein besonders krasser Fall war der des CDU-Politikers Oliver Wittke. Wittke hatte seine Karriere als Oberbürgermeister von Gelsenkirchen begonnen, war Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen und später Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Er gab Ende 2019 sein Regierungsamt auf und wollte ein Jahr später Geschäftsführer beim „Zentralen Immobilien Ausschuß“ (ZIA) werden, der Spitzenorganisation der deutschen Wohnungswirtschaft. Wittke bekam jedoch vom Karenzzeitgremium und der Regierung eine Zwangspause von 16 Monaten aufgebrummt. Nach der erzwungenen Abklingphase wurde der CDU-Mann trotzdem Hauptgeschäftsführer.

Eine Karenzzeit hilft gar nicht, wenn Lobbyisten Gesetzentwürfe für die Bundesregierung formulieren und Minister diese übernehmen oder wenn ein Minister innerhalb kurzer Zeit zu unerklärbar teurem Immobilienbesitz kommt.