© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/22 / 26. August 2022

Ausnahme der Woche
Reiser ja, Fechter nein
Christian Vollradt

Wenn ein Künstler wirklich Pech hat, dann rühmt Claudia Roth sein Werk als „zeitlos und wertvoll“. Wie heißt es so passend in Frank Schöbels Lied vom „Eisbär im Zoo“? „Den Tadel des Affen, den konnt’ er verschmerzen, / das Lob einer Ziege, das kränkte ihn sehr.“ Doch weder Schöbel noch seinem Meister Petz mit Polar-Hintergrund galten die anerkennenden Worte der grünen Kabinettsmuse (vulgo Kulturstaatsministerin), sondern ihrem einstigen Mitbewohner Rio Reiser, einst Haupt der Band Ton Steine Scherben, deren letzte Tournee ebenjene Claudia Roth vergeigte. Die „Scherben“ gingen in dieselben, und Roth bewarb sich auf eine Stellenanzeige der Grünen in der taz. Der Rest der Geschichte ist bekannt. Reiser, eigentlich Ralph Möbius, starb bereits vor mehr 25 Jahren an Herzversagen, weshalb er sich jetzt nicht mehr von der nächsten Klippe stürzen muß, nachdem Roth ihm zu Ehren vergangene Woche einen Platz in Berlin-Kreuzberg umbenannt hat. Als Solist ist Reiser bekannt geworden durch seinen schmissigen Mitgröl-Hit „König von Deutschland“, die Lieder seiner Combo erfüllten heutzutage den Tatbestand der Delegitimierung des Staates („Keine Macht für Niemand“). Gegen die Umbenennung des ehemaligen Heinrich- in Rio-Reiser-Platz gab es Einsprüche, weil eigentlich nur noch Frauennamen neu auf den Stadtplan sollten. Begründung der aktuellen Ausnahme: Reiser war „queer“. So wurde dem PDS-Mitglied eine Ehre zuteil, die man seit Jahren trotz entsprechender Initiativen dem im August 1962 gestorbenen Peter Fechter verwehrt. Aber der feierte ja auch keine besetzten Häuser, sondern wurde als einer der ersten vom damals bewaffneten Arm der heutigen Linkspartei per antifaschistischem Schußwaffengebrauch an der Berliner Mauer beim versuchten Wechsel von Ost- nach West-Berlin niedergestreckt, woraufhin er elendig verblutete.