© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/22 / 26. August 2022

Schwarze Tage am Schwarzen Meer
Krim: Hackerangriffe, Drohnenschläge und Sabotageaktionen – der Ukraine-Krieg erreicht die russisch besetzte Halbinsel
Marc Zoellner

Diese Hacker zeigten sich von ihrer kreativsten Seite: „Willkommen in der Ukraine“, begrüßte eine der Digitalanzeigen auf der Krim-Brücke vergangenen Sonntag plötzlich anstelle der üblichen Stau- und Wettermeldungen die Autofahrer auf ihrem Weg von Rußland auf die Halbinsel Krim. Im Mai 2018 unter Begleitung internationaler Proteste eingeweiht, verbindet die mehrspurige Straßen- und Eisenbahnbrücke, deren Errichtung Moskau etwa drei Milliarden Euro kostete, die seit März 2014 von Rußland besetzte und seitdem auf dem Landweg abgeschnittene ukrainische Halbinsel Krim mit dem russischen Festland. Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gewann die Krim-Brücke darüber hinaus auch als militärische Logistikroute an strategisch wichtiger Bedeutung. Die gelungene Umprogrammierung der Brückenschilder ist für Moskau eine Schlappe ganz besonderer Art und beweist erneut: Die Sicherheit der Krim gleitet dem Kreml zunehmend aus den Händen.

Bereits in den Tagen vor dem Hackerangriff summierten sich Angriffe und Präzisionsschläge, hinter denen die ukrainische Armee und einheimische Partisanen vermutet werden, auf militärische Einrichtungen innerhalb der Halbinsel. Ende Juli mußte der Gouverneur von Sewastopol, Michail Rastwotschajew, seine lange geplanten Feierlichkeiten zum Tag der Flotte aus Sicherheitsgründen absagen, nachdem eine Kamikazedrohne das Hauptquartier der Russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol getroffen und sechs Marineangehörige verletzt hatte. Am 9. August zerstörte eine Explosion unbekannter Ursache mindestens neun russische Kampfflugzeuge auf dem Militärflugplatz von Saky im Westen der Krim. 

Viele Krimtataren hoffen auf eine baldige Rückkehr in die Ukraine

Nur eine Woche später explodierte in der Stadt Dschankoj im Norden der Krim ein Munitionslager; ein Elektrizitätswerk sowie nahe gelegene Zuggleise wurden ebenso beschädigt. Die Ukraine mochte ihre Beteiligung an den Angriffen nicht bestätigen. „Je ungenauer die Details sind, die wir über unsere Verteidigungspläne herausgeben“, erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, „desto besser können wir diese Verteidigungspläne ausführen.“ Aus seinem Ansinnen, die Krim für die Ukraine zurückzuerobern, macht Selenskyj keinen Hehl. „Der Krieg mit Rußland begann auf der Krim und wird dort auch enden“, so der Staaatschef am 9. August. 

Jüngste Umfragen des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie ergaben großen Rückhalt innerhalb der Bevölkerung zu dieser Äußerung: Über 84 Prozent aller Ende Juli befragten Ukrainer sprachen sich in dieser Meinungserhebung gegen territoriale Zugeständnisse an Rußland im Falle von Friedensverhandlungen aus. 

Die letzten Angriffe der ukrainischen Armee auf russische Militärbasen auf der Halbinsel werten Militärexperten als Belastungstests der russischen Luftabwehr im Fall einer ukrainischen Offensive. „Seit zehn Tagen wird die Krim beschossen“, bestätigt der Kiewer Politikwissenschaftler Michail Sheitelman in einem Interview mit dem lokalen Nachrichtensender Channel 24. „Wissen Sie, welche Stellungnahme Putin dazu abgab? Richtig – gar keine.“ Bände sprachen dagegen die Reaktionen der russischen Gebietsbehörden, die Tausende Einwohner der von den Angriffen betroffenen Städte evakuierten. 

Auch unzählige russische Sommertouristen flohen in den vergangenen Tagen über die Krim-Brücke, eines der potentiellen nächsten Angriffsziele, zurück auf russisches Festland. Die USA sprachen sich als größter Waffenlieferant der Ukraine bislang gegen Angriffe auf russisches Territorium aus, klammerten zuletzt Mitte August die Krim jedoch strikt als Ausnahme aus. „Die Krim ist ukrainisch“, zitiert die US-Tageszeitung Politico einen Washingtoner Regierungsvertreter.

„Natürlich sind diese Kampfhandlungen für die Menschen der Krim unangenehm“, berichtet Iryna, eine Tourismus-Expertin aus Simferopol, im Telefoninterview mit der JUNGEN FREIHEIT. „Nach über acht Jahren Besatzung sehnen sich die Leute nach Frieden und einem geregelten Einkommen. Aufgrund der russischen Spezialoperation ist nun aber selbst der Tourismus als wichtigster Wirtschaftszweig zusammengebrochen.“ Ungebrochen sei besonders die Hoffnung der Minderheit der Krimtataren, die 2014 die Proteste in Simferopol gegen die russische Okkupation anführten und seitdem mit Repressalien leben. „Viele sind im Gefängnis oder nach Rußland deportiert“, so die 37jährige. „Bei internationalen Touristen früher beliebte tatarische Restaurants in Jalta haben nun russische Geschäftsführer.“ Die Löhne stagnierten bei 300 Euro, Mindestrenten bei 6.225 Rubel, umgerechnet nur etwa 100 Euro. Ohne russischen Paß gebe es keine Arbeitserlaubnis mehr und selbst keinen Führerschein. „Die Tataren trifft die Besatzung am schlimmsten. Für viele andere auf der Krim ist das aber kein ethnischer, sondern ein politischer Konflikt. Mancher russische Bekannte möchte gern in die Ukraine zurück, andere ukrainische Nachbarn wollen lieber bei Rußland bleiben.“