© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/22 / 26. August 2022

Ein Anschlag und viele Fragen
Moskau: Die Tochter des russischen Philosophen Alexander Dugin stirbt bei einer Explosion/ Nun wird wie wild über die Täter spekuliert
Jörg Sobolewski

Der Tod der jungen Politologin Darja Dugina war erst wenige Stunden her, da überschlugen sich in den sozialen Netzwerken bereits mehr oder weniger gut informierte Kommentatoren auf der Suche nach den Verantwortlichen hinter dem Anschlag auf die Tochter des einflußreichen russischen Philosophen Alexander Dugin. Am 20. August befand sich die die 29jährige am Steuer eines Toyota-Geländewagens auf einer Landstraße in der Nähe der russischen Hauptstadt, als plötzlich eine Bombe unter dem Fahrersitz explodierte.

Der schwere Wagen brach sofort aus, rammte die Leitplanke und kam dort brennend zum stehen. Dugina war vermutlich sofort tot, das Wrack brannte komplett aus. Ein Amateurvideo eines weiteren Autofahrers zeigt wenig später die Ankunft des Vaters. Dugina hatte sich Dugins Auto geliehen, er fuhr in einem weiteren Fahrzeug einige Kilometer hinter seiner Tochter. Offensichtlich unter Schock mußte der Mann, der einst als „Putins wichtigster Denker“ bezeichnet wurde, mit ansehen, wie die Leiche seiner Tochter aus dem brennenden Wrack geborgen wurde.

Dabei ist bis heute unklar, ob der Anschlag seiner Tochter oder in Wahrheit ihm selbst gegolten hat. Klar ist: Mit ihrer harten Rhetorik zum Krieg in der Ukraine haben sowohl Vater als auch Tochter den Zorn vieler Ukrainer auf sich gezogen. Die russischen Behörden, die schnell die Ermittlungen aufnahmen, zeigten auch früh mit den Fingern auf staatliche und nichtstaatliche Akteure im Nachbarland. Einer Verlautbarung des russischen Inlandsgeheimdienstes nach steckt zumindest eine Ukrainerin hinter der Durchführung des Anschlags. Die Frau mit dem Namen Natalia Vovk sei seit Ende Juli hinter Dugina her gewesen, habe die junge Frau ausspioniert und sogar zum Tatzeitpunkt selbst die Bombe mit einer Fernsteuerung ausgelöst. Anschließend sei Vovk mit ihrem Auto nach Estland ausgereist. Drei verschiedene Kennzeichen habe sie dafür genutzt und sich außerdem die Haare gefärbt. Tatsächlich legen russische Sicherheitsbehörden eine ganze Reihe an Indizien vor, die die junge Frau belasten: verschiedene Nummernschilder und diverse Videoaufnahmen. Aber über das Motiv oder gar etwaige Hintermänner liegen bisher keine Angaben vor.

Der Kreml muß nun Erfolge bei seinem Krieg in der Ukraine liefern

Das sorgt im Netz für Spekulationen. Die Täterin sei Mitglied des in Rußland berüchtigten Bataillon Asow gewesen, will etwa eine russische Hackergruppe herausgefunden haben. Eine Anschuldigung, die die ukrainischen Paramilitärs in einer Stellungnahme weit von sich wiesen. Auch der ukrainische Präsident Selenskyj distanziert sich von dem Anschlag. Zeitweise werden von Exilrussen auch „Anti-Putinisten“ als Finanziers und Drahtzieher benannt. Ein Vertreter dieser These ist etwa der ehemalige Duma-Abgeordnete Ilja Ponomarew.

Wieder andere vermuten sogar den Kreml selbst hinter der Attacke. Denn Duginas Vater hatte zuletzt zu Reformen im Land aufgerufen und den langsamen Fortschritt der russischen Kampagne in der Ukraine als Weckruf bezeichnet, um unter Umständen die eigene Führung auszutauschen. Tatsächlich hielt sich der Kreml anfangs sehr bedeckt, mittlerweile hat Putin jedoch reagiert und sowohl dem Vater sein Beileid ausgesprochen als auch die Verstorbene posthum geehrt. Auf den Hausherrn im Kreml dürfte nun der Druck aus der eigenen Entourage steigen, die Kriegsbemühungen zu verstärken.