© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/22 / 26. August 2022

Neue Investitionschancen durch die Cannabis-Freigabe in Deutschland?
Vabanque im Nischenmarkt
Thomas Kirchner

Schon Pablo Escobar soll von der Drogen-Legalisierung geträumt haben, sein Imperium hätte den dann legalen Markt dominiert. Doch El Patrón starb 44jährig in Medellín. Für den Kolumbianer kommt die von der Ampel-Regierung versprochene Cannabis-Freigabe drei Jahrzehnte zu spät. Andere sitzen aber schon in den Startlöchern. In zahlreichen US-Bundesstaaten sind Cannabisprodukte frei erhältlich, auf Bundesebene allerdings nur teilweise. Dies schafft absurde Probleme: Banken dürfen mit Cannabis-Firmen nur eingeschränkt Geschäfte machen, was im legalen Einzelhandel zu hohen Bargeldbeständen führt – und Kriminelle anzieht. Wegen der Raubmorde will der US-Kongreß deshalb jetzt Finanzdienstleistungen für das Kiffer-Milieu legalisieren.

Der weltweite Cannabismarkt wurde 2021 auf zwölf bis 25 Milliarden Dollar geschätzt, das jährliche Wachstum soll bei bis zu 25 Prozent liegen. Trotz solcher Wachstumsraten wird der Markt noch lange eine Nische bleiben. Zum Vergleich: Der weltweite Kaffeemarkt soll in diesem Jahr 433 Milliarden Dollar Umsatz einbringen, bei einem Wachstum von 7,6 Prozent. Allein der reale Zuwachs ist damit größer als der gesamte Cannabis-Markt. Die Tabakbranche erwirtschaftet jährliche Umsätze von 850 Milliarden Dollar. Doch es sind wie immer die Wachstumsperspektiven, die Kapital anziehen. Und wie so oft bewerten viele Anleger Wachstum höher als Gewinn und sind bereit, viel zu investieren. 2014 und 2018 waren bisher die erfolgreichsten Jahre für die Aktien der Branche, der Global Cannabis Stock Index verneunfachte bzw. verdreifachte sich.

Heute stehen die Aktien 98 Prozent unter dem Höchstwert von 2014. Voriges Jahr haben sie zwei Drittel ihres Werts eingebüßt, sie folgen damit dem Bewertungscrash des Technologiesektors. Die Börse von Tel Aviv stellte ihren Cannabis-Index wegen hoher Kursverluste ein. In Israel hatte die „Kiffer-Branche“ die Politik umworben. Der frühere Generalstabschef und Ex-Premier Ehud Barak ist Aufsichtsratschef von Intercure, einem Hersteller von medizinischem Cannabis. 42 Prozent der Cannabis-Unternehmen verbuchen Gewinne, ein höherer Anteil als im Tech-Sektor.

Und durch die starken Kursrückgänge sind viele profitable Firmen jetzt sogar nach traditionellen Maßstäben vernünftig bewertet. Schwierig ist allerdings die Taxierung der Gewächshäuser, denn im Gegensatz zu gewöhnlichen Gewerbeimmobilien sind sie hochspezialisierte Gebäude, die nicht leicht für andere Zwecke genutzt werden können. Zwischen Buch- und Realwert kann es Diskrepanzen geben. Zu beachten ist auch die Besteuerung, die von hoch bis höher variiert: Im US-Westküstenstaat Washington fallen 37 Prozent Steuern auf den Absatz an, im benachbarten Oregon nur 17.

Es gibt Hersteller, die auf medizinisches Cannabis spezialisiert sind, und solche, die für den Freizeitkonsum produzieren. Integrierte Hersteller kontrollieren die Produktionskette von Pflanzenzucht über Herstellung und Vermarktung bis zum Einzelhandel. Auf dem Nischenmarkt drängen sich zu viele Unternehmen, durch den Boom bei Mantelgesellschaften (SPAC; JF 10/21) sind einige weitere an die Börse gekommen. Mittelfristig sollte es Konsolidierungen geben. 82 meist kleinere Fusionen hat es in diesem Jahr bereits gegeben, nur bei Tilrays Kauf von Aphria und Trulieves Kauf von Harvest Health ging es um ein Milliardenvolumen. Und wer wird in Deutschland mitverdienen?