© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/22 / 26. August 2022

Bangemachen gilt nicht
Wohnungsmarkt: Probleme von Immobilieneigentümern bei Inflation und steigenden Zinsen
Stefan Kofner

An den Immobilienmärkten sind Zinsen und Inflation derzeit die Hauptthemen. Bei Bauleistungen und Materialien klettern die Preise. Trotz der gestiegenen Hypothekenzinsen sind die Immobilienpreise, anders als von vielen erwartet, noch nicht eingebrochen. Normalerweise ist auf den negativen Zusammenhang zwischen steigenden Zinsen und fallenden Immobilienpreisen Verlaß. Höhere Zinsen wirken sich negativ auf die Eigenkapitalrenditen von Mietwohngebäuden und die Erschwinglichkeit von Wohneigentum aus. Sie dämpfen also die Nachfrage, und die in der Folge sinkenden Immobilienpreise führen zu höheren Immobilienrenditen.

Das Zahlenbild ist bis jetzt uneinheitlich: Der von der Finanzierungsplattform Hypoport ermittelte Hauspreisindex läuft seit April seitwärts. Der Index des Verbandes deutscher Pfandbriefbanken hat im zweiten Quartal seinen steilen Anstiegspfad mit einem Zuwachs von 11,6 Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahresquartal sogar ungebremst fortgesetzt. Dem steht die aktuelle Auswertung des Portals Immoscout24 für die Wirtschaftswoche entgegen, wonach die Preise für Eigentumswohnungen zwischen Januar und Juli im Mittel um 6,2 Prozent gesunken sind. Bei Einfamilienhäusern gaben die Preise um 4,8 Prozent nach.

Immobilienfinanzierungen

derzeit so attraktiv wie noch nie

Viele haben noch nicht recht verstanden, daß wir uns in einem Umfeld mit galoppierender Inflation bewegen. Die unstetige und unkoordinierte Corona-Politik hat weltweit zu Knappheiten an den Gütermärkten geführt, die sich durch den Ukraine-Krieg weiter verschärft haben. Aktuell liegt die Inflationsrate weit höher als die Zinsen für Staatsanleihen, Pfandbriefe und Hypotheken. Bei 7,5 Prozent Inflation rentierten zehnjährige Bundesanleihen im Juli nur um die ein Prozent. Diese Differenz läßt sich nicht mit schwachen Wachstumsaussichten oder dem Ruf der deutschen Anleihen als sicherer Hafen in der Krise erklären.

Die EZB hat viel zu spät und zu zaghaft auf die seit anderthalb Jahren ständig steigende Inflationsrate reagiert. Der Hauptrefinanzierungssatz wurde im Juli 2022 von 0 auf 0,5 Prozent und der Einlagensatz von -0,5 auf 0,0 Prozent angehoben. Weitere Zinsschritte im Rahmen einer „Leitzinsnormalisierung“ sind angekündigt. Das ändert aber nichts daran, daß diese Risikogeldpolitik eine gefährliche Wette auf die Zukunft ist. Mit der Inflation sind mit beachtlicher Verzögerung auch die Hypothekenzinsen in Bewegung gekommen. Sie haben jedoch ihren steilen Anstieg seit Jahresbeginn (von ein auf über drei Prozent für zehnjährige Zinsbindungen) zuletzt nicht fortgesetzt und liegen im historischen Vergleich noch auf moderatem Niveau. Aktuell kann man bei guter Bonität für 2,5 Prozent finanzieren.

Die vielen Auguren, die wegen des Zinsanstiegs einen Absturz der Immobilienpreise vorhersagen, schauen nur auf die nominalen Hypothekenzinsen. Bei einer Inflationsrate von 7,5 Prozent und einem nominalen Zins von 2,5 Prozent ergibt sich ein negativer Realzins von rund fünf Prozent. Noch im Jahr 2020 bewegte sich der Realzins um die null Prozent, aber dann sackte er immer weiter ab, weil die Inflationsentwicklung in den nominalen Zinsen nur zum Teil nachvollzogen wurde. Damit sind Immobilienfinanzierungen derzeit so attraktiv wie noch nie. Selbst wenn die Inflationsrate ab 2023 um zwei Prozentpunkte jährlich fallen sollte und dann bei 1,5 Prozent verharrt, fällt der Realzins über zehn Jahre gerechnet noch negativ aus. Das bedeutet, daß der Gläubiger einen Realzins an den Schuldner bezahlt und nicht umgekehrt.

Hypothekenzinsen sind für sich genommen also aktuell keine Bremse, sondern eher ein Treiber der Immobilienpreisentwicklung. Derzeit bilden allerdings die nicht an die Inflationsentwicklung angepaßten Löhne und die allgemein unsichere Situation noch ein Finanzierungshindernis. Das Risiko bei den real gesehen so günstigen Krediten liegt natürlich in der Immobilienpreisentwicklung. Der Wert des finanzierten Hauses sollte zumindest im Einklang mit der Inflation steigen, damit die Sache aufgeht. Ist das realistisch?

In der inflationären Periode von 1970 bis 1982 sind die realen Hauspreise in Deutschland zu keinem Zeitpunkt unter das Niveau von 1970 gefallen und über den gesamten Zeitraum ergab sich eine erhebliche reale Wertsteigerung – und das bei durchweg positiven realen Hypothekenzinsen. Das läßt erwarten, daß die Hauspreise auch diesmal die Inflation ausgleichen werden. Ein weiteres wesentliches Argument: Anders als damals liegt die Verantwortung für den geldpolitischen Kurs heute nicht mehr bei den stabilitätsorientierten Falken der legendären alten Bundesbank, sondern bei den Tauben der politisierten Europäischen Zentralbank. Ein entschlossenes geldpolitisches Handeln gegen die Inflation ist auch im weiteren Verlauf nicht zu erwarten. Die Zentralbank hat außerdem seit der Finanzmarktkrise durch ihre uferlosen Wertpapierankäufe einen Ozean an Liquidität geschaffen, der nun die Stabilität unseres Geldes bedroht.

Hohes Geldmengenwachstum, eigenes Haus als Rettungsanker?

Die Zentralbankgeldmenge M0 (Geldbasis) hat sich seit 2008 versechsfacht und liegt nun bei über sechs Billionen Euro. Die Geldmenge M1 (Bargeld und Sichtguthaben), die 2008 noch bei knapp vier Billionen Euro lag, ist bis zum Jahresende 2021 um 180 Prozent auf 11,3 Billionen Euro gestiegen und wächst immer noch mit einer Rate von 7,5 Prozent. Die große Inflation ist bisher nur ausgeblieben, weil parallel die Einkommenskreislaufgeschwindigkeit des Geldes ständig gefallen ist. Die Euros auf den Konten wurden also seltener für Transaktionen eingesetzt. Das Verhältnis des nominalen BIP zur Geldmenge M1, das 2009 noch bei zwei gelegen hatte, lag 2021 nur noch knapp über eins. Die für die weitere Inflationierung der Wirtschaft nötige Liquidität ist also da. Wenn sich nun noch die Kreislaufgeschwindigkeit wegen der gestiegenen Inflationserwartungen normalisiert, dann kann sich die galoppierende Inflation zur Hyperinflation auswachsen. Angemessen wäre daher jetzt eine Kombination aus straffer Geldpolitik, bescheidenen Lohnabschlüssen und finanzpolitischer Austerität.

Ohne eine solche Antiinflationspolitik könnte das Geld wie 1923 zur heißen Kartoffel werden. Seine Zirkulationsgeschwindigkeit würde sich ebenso wie die Preise vervielfachen. Dann lösen die Menschen ihre Spareinlagen, Bausparverträge und Lebensversicherungen auf und kaufen wahllos langlebige Konsumgüter, Dollar, Aktien, Edelmetalle und eben auch Immobilien. Besser, man investiert heute schon inflationsfest. Die eigene Immobilie kann so zum Rettungsanker werden.


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