© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/22 / 26. August 2022

Teuer, teurer, unbezahlbar – wenig Hoffnung
Energiewende und Sanktionen: Nach den höchsten Strom- drohen nun die höchsten Erdgas- und Heizungspreise der Welt
Jörg Fischer

An die höchsten Strompreise der EU haben sich die Privatverbraucher in Deutschland gewöhnt: Kostete die Kilowattstunde (kWh) unter Gerhard Schröder 2005 noch 18,7 Cent, kletterte der Strompreis wegen diverser „grüner“ Abgaben und Umlagen unter Angela Merkel kontinuierlich auf 31,93 Cent – Ukrainer zahlten im ersten Halbjahr 2021 im Schnitt umgerechnet nur 4,85 Cent und Türken 8,34 Cent. Die EU-Mitgliedschaft – was mindestens 0,1 Cent Stromsteuer und fünf Prozent Mehrwertsteuer bedeutet – trieb die Strompreise nur moderat: Ungarn zahlten 10,03 Cent, Niederländer 12,81 Cent, Polen 15,48 Cent, Tschechen 18,02 Cent, Franzosen 19,46 Cent und Österreicher 22,16 Cent.

Nur das Wind- und Hochsteuerland Dänemark wetteiferte damals mit 29 Cent freiwillig mit dem deutschen Energiewendeparadies. Allerdings ist der Durchschnittsverdienst dort um ein Drittel höher als hierzulande. Doch mit der Euroabwertung, der galoppierenden Inflation und den westlichen Sanktionen gegen den deutschen Hauptenergielieferanten Rußland ist nun eine weitere „Zeitenwende“ (Kanzler Olaf Scholz) angebrochen: Verdoppelte Heizöl- und Steinkohlepreise, verdreifachte Erdgaspreise, Strompreise Richtung 40 Cent und mehr – trotz Abschaffung der EEG-Umlage für Ökostromanbieter (2021: 6,5 Cent pro kWh) plus 19 Prozent Mehrwertsteuer), die nun vom Steuerzahler und indirekt via „CO2-Bepreisung“ für Benzin, Diesel, Gas und Heizöl (Brennstoffemissionshandelsgesetz/BEHG) subventioniert werden.

Je höher der Gaspreis, desto höher die Mehrwertsteuerentlastung

Die „Gasbeschaffungsumlage“ von 2,419 Cent pro kWh, die ab Oktober hinzukommt (JF 34/22), ist dabei noch gar nicht eingerechnet. Wenn jedoch die Mehrwertsteuer für die Gasrechnung von 19 auf sieben Prozent sinkt, wie es der Bundeskanzler versprochen hat, dann dürfte diese neue Zusatzabgabe bei den Privatverbrauchern weniger spürbar sein: Schon im April, als die Erdgaspreise noch nicht ihr Maximum erreicht hatten, lag allein die Mehrwertsteuer bei 2,2 Cent pro kWh (Erdgaspreis: 13,77 Cent), wie der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) vorrechnet.

Da diese mit steigenden Gasbeschaffungspreisen mit ansteigt, ist sogar ein vollständiger Ausgleich absehbar. Sprich: Je höher der Gaspreis, desto höher die formale Entlastung bei der Mehrwertsteuer. Doch das ändert nichts an der Tatsache: Für immer mehr Gasverbraucher wird die Rechnung unbezahlbar – mit oder ohne Gasumlage. Anfang August lag der durchschnittliche Erdgaspreis laut Verbraucherportalen bei 17,84 Cent pro kWh – das ist fast dreimal so hoch wie 2019, als das Pipelinegas aus Rußland noch zuverlässig nach Deutschland und in die EU floß. Gutsituierte Aktivisten von Greenpeace, Umwelthilfe & Co. stört das nicht. Im Gegenteil, Erdgas gilt als „Klimakiller“, weil es vor allem aus Methan besteht und beim Verbrennen CO2 entsteht. Zwar nicht soviel wie bei der Kohleverstromung, aber bei der Förderung und dem Transport läßt sich ein Entweichen des „hochwirksamen Treibhausgases“ Methan nicht vermeiden.

Politiker müssen angesichts der Preisexplosion und des drohenden Gasmangels Kompromisse eingehen. Da ein Ausscheren bei den Rußlandsanktionen für die Ampel-Koalition wie für die oppositionelle Union undenkbar ist, reiste Wirtschaftsminister Robert Habeck ins bislang gemiedene Katar und verkündete im März eine „Energiepartnerschaft“: Flüssigerdgas (LNG) per Schiffstransport aus dem Golfemirat als Ersatz für russisches. Denn „wir reduzieren mit aller Konsequenz unsere Abhängigkeit von russischer Energie auf Null – und zwar für immer“, verkündete Außenministerin Annalena Baerbock im Mai bei ihrem Besuch in Kiew. 

Doch die grünen LNG-Träume erwiesen sich als Fata Morgana. Katar hat zwar – wie Rußand oder der Iran – riesige und kostengünstig förderbare Erdgasvorkommen, doch die sind durch langfristige Verträge für den Export nach Asien sowie nach Spanien, Italien und Frankreich reserviert. Und LNG ist im Vergleich zu russischem Pipelinegas mindestens doppelt so teuer: Das Gas muß verflüssigt, auf minus 162 Grad abgekühlt transportiert und dann wieder erwärmt werden. Das kostet Energie – und zusätzliches Geld. Die gestiegenen deutschen Erdgaspreise kann LNG also kaum merklich reduzieren.

Auch die Betteltour von Scholz und Habeck nach Kanada bringt für deutsche Gasverbraucher im kommenden Winter keine Entlastung: Die dortige Gasgewinnung läuft in den West- und Zentralprovinzen British Columbia, Alberta und Saskatchewan. Die großen kanadischen LNG-Terminals liegen daher nicht an der Atlantik-, sondern an der Pazifikküste. Und Kanada-Gas wird überwiegend, wie das US-Erdgas, durch das nicht nur von Umweltschützer verteufelte Fracking-Verfahren gewonnen. Auch ein „Ringtausch“ – Katar und die USA beliefern das darbende Deutschland, Kanada ersetzt die Lieferausfälle in Asien – dürfte sich wohl als Fata Morgana erweisen. Es bleibt also praktisch nur das hastige Aufkaufen von LNG auf dem globalen Spot-Markt – koste es, was es wolle.

Einfach wäre nur die Misere der Heizölverbraucher zu lösen. Deren Rechnung hat sich zwar seit 2019 mehr als verdoppelt. Aber würde die Bundesregierung auch hier die Mehrwertsteuer absenken und auf CO2-Bepreisung und Energiesteuer verzichten, wäre eine Entlastung um mindestens ein Viertel möglich. Doch das dürfte aus klimaideologischen Gründen kaum im dritten „Entlastungspaket“ der Ampel zu finden sein.