© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/22 / 26. August 2022

Politisch unangenehme Wahrheiten ersticken
Herrschaftsroutine der Toleranten

Statistisch gut abgesichert behauptete der Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp während einer im März 2018 veranstalteten Podiumsdiskussion mit seinem Kollegen Durs Grünbein, daß mehr als 95 Prozent der von vielen Medien fälschlich so genannten „Flüchtlinge“ ihre Heimat nicht unfreiwillig aufgrund von „Verfolgung“, sondern, angelockt vor allem vom deutschen Sozialsystem, aus ökonomischen Gründen verlassen. Für den freiberuflichen Journalisten Thilo Baum, der in seinem Essay zum Thema Meinungsfreiheit deutsche „Grenzen des Sagbaren“ erkundet (Universitas, 6/2022), zeigt der von dieser Äußerung ausgelöste mediale „Gegenwind“ beispielhaft, wie hierzulande politisch „unangenehme Wahrheiten“ erstickt werden. Denn in einer pluralistisch strukturierten Öffentlichkeit hätte es von Normalität gezeugt, wenn diese Kontroverse in eine Debatte über die wahre Motivation von Migration gemündet wäre. Doch statt eines Gesprächs über Fakten habe es nur die übliche „Sofort-Etikettierung“ der unbequemen Position Tellkamps gegeben. Als Gegenargumente seien daher keine empirisch belastbaren Zahlen genannt worden, vielmehr hagelte es reflexartig persönliche Angriffe. Getreu dem alten Muster, „Meinungen nur dann zu tolerieren, wenn sie einem passen“, und die eigene „reale Macht in Politik, Publizistik und Hochschule“ einzusetzen, um andere für ihre „Grenzüberschreitungen“ abzustrafen. Mit der scheinheilig auch vom amtierenden Bundespräsidenten beschworenen „Streitkultur“ hätten solche Praktiken nichts zu tun. Er, Baum, empfinde es jedenfalls als „intolerant, Menschen für Äußerungen zu verurteilen, ohne daß allem eine sachliche Diskussion vorausgegangen wäre“. (ob)   www.heidelberger-lese-zeiten-verlag.de