© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/22 / 26. August 2022

Jahrelanges Wegschauen
ARD-Chef Buhrow entzieht der RBB-Geschäftsführung Vertrauen / Mehr Korruptionfälle tauchen auf
Ronald Berthold

Genüßlich zitierte der Publizist Alexander Kissler die Ex-ARD-Vorsitzende und Ex-RBB-Intendantin Patricia Schlesinger: „Ich stehe mit dem, was ich seit Jahrzehnten mache, voll und ganz für den öffentlichen Rundfunk und seit 2016 für den RBB.“ Der NZZ-Reporter meint: Schlesinger ist mutmaßlich die Regel dafür, wie sich Programmverantwortliche und Funktionäre den gebührenfinanzierten Rundfunk finanziell und politisch zur Beute gemacht haben.

Beinahe täglich kommen neue Details über Prunksucht und Vetternwirtschaft ans Licht. So gönnt sich WDR-Intendant Tom Buhrow, der mit seinen 413.000 Euro ohnehin schon mehr verdient als Bundeskanzler und US-Präsident, einen sündhaft teuren Dienstwagen mit unüblichen Extras. Von den Massagesitzen in seinem 7er BMW will er aber nichts gewußt haben, beteuert der 63jährige gegenüber der dpa. Auch Schlesinger, die jetzt fristlos entlassen wurde und gegen die der Generalstaatsanwalt ermittelt, ließ sich derart luxuriös durch die Gegend kutschieren. Um Bereicherung auf Kosten des Beitragszahlers zu verhindern, ist Buhrow auf die Idee gekommen, die beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk stets ganz oben auf dem Stapel liegt: den Apparat noch weiter aufzublähen. So will er die Aufsichtsgremien mit zahlreichen Mitarbeitern verstärken. Um fürstliche Bezahlungen dürften sich die Kontrolleure keine Sorgen machen. Schließlich stehen jährlich 9,47 Milliarden Euro allein an Gebühren zur Verfügung, damit man es sich bei ARD, ZDF und Deutschlandradio gutgehen lassen kann.

Doch hie und da scheint es Neider zu geben. So stechen immer wieder ÖRR-Mitarbeiter pikante Details an privatfinanzierte Sender und Verlage durch. Plötzlich machen Direktorinnen beim Bayerischen und Norddeutschen Rundfunk Schlagzeilen, die sich wahlweise zwei Dienstwagen mit zwei Chauffeuren bezahlen lassen oder deren Lebensgefährten jahrelang mit 50.000-Euro-Aufträgen versorgt werden. Und die ARD wiegelt ab: Alles ganz normal, kein Grund zur Aufregung.

Schlesinger erhielt mehr Geld als der Bundeskanzler

Nach demselben Prinzip handelte der RBB. Vorwürfe gegen die Ex-Intendantin Patricia Schlesinger wurden kleingeredet, dafür Rechtfertigungen der Anstaltsspitze ausführlich über den Äther gejagt. Beim RBB spricht man sogar von Kims Reich des Bösen: „Wir waren so nordkoreaesk“, sagte Moderatorin Eva-Maria Lemke über den Umgang mit den eigenen Skandalen.

Unerwartet wehten für kurze Zeit Glasnost und Perestroika durch die Flure des RBB. Das hauseigene Rechercheteam hat sogar wohl aus Versehen den amtierenden Intendanten Hagen Brandstäter der Lüge überführt. Während der Funktionär vor dem Brandenburger Landtag ein Bonus-System beim Sender bestritt, veröffentlichte das hauseigene Inforadio kurz darauf eine Reportage, die das Gegenteil belegte. Demnach gab es bei Zielübererfüllung Geld  obendrauf für die Führungsriege. Schlesinger könnte dadurch nicht die bisher bekannten 303.000, sondern sogar 350.000 Euro verdient haben. Wieviel die Intendantin genau bekommt, hält der Sender weiterhin geheim.

Das Bundeskanzler-Gehalt liegt bei 300.000 Euro. Die Entlohnung der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin übertrifft aber nicht nur Schlesinger, sondern auch der RBB-Verwaltungs- und Programmdirektor. Die gesamte Senderführung liegt über Franziska Giffeys 195.000 Euro. Derlei Geldregen schürt Unmut. Whistleblowern droht der Sender daher nun massiv. Wer Infos, auch an eigene Reporter, weitergebe, verstoße gegen den Arbeitsvertrag, heißt es in einer E-Mail des Redaktionsleiters an alle Mitarbeiter. Das Zeitfenster der Offenheit hat sich geschlossen.

Trotzdem kommt immer mehr heraus. Bis 2026 erhält zum Beispiel der frühere RBB-Media-Chef Klaus-Wilhelm Baumeister insgesamt 700.000 Euro, „ohne dafür eine Leistung zu erbringen“, wie Business Insider berichtet. Er mußte 2018 gehen, weil er eine Beziehung mit seiner Sekretärin hatte, die zur Leiterin des Controllings aufstieg. Nach damals offizieller Darstellung verließ Baumeister den Sender „leider auf eigenen Wunsch“. Ausgetauscht wurde er gegen Edda Kraft, die im Juni 2022 mit Schlesinger im Afrika-Urlaub fotografiert wurde. Baumeisters Vorruhestandsregelung zu Lasten der Gebührenzahler geht auf Schlesinger und ihre enge Vertraute, die damalige Justiziarin und heute Juristische Direktorin, Susann Lange, zurück. Schlesinger setzt Lange dann vorübergehend als zweite Geschäftsführerin der Tochterfirma. Wieviel Geld Schlesinger oder andere ÖRR-Vorstände aus Posten in Tochterfirmen erhalten, ist schlecht ausgeleuchtet.

Über Lange wurde eine filmreife Posse bekannt, die die Verstrickungen innerhalb des Senders skandalös auf die Spitze treibt. Sie ist mit Sylvie Deléglise vermählt. Diese wurde trotz interner Kritik und neuem Filzverdacht just zur Verwaltungsdirektorin befördert. Getraut hat das Paar Pfarrerin Friederike von Kirchbach – seit zehn Jahren Vorsitzende des RBB-Rundfunkrates und damit Chef-Kontrolleurin. Mitarbeiter fragen sich, wie bei einer solchen Nähe noch Aufsicht stattfinden soll. Am Wochenende trat auch von Kirchbach zurück. Deléglise indes behält ihr neues Amt bisher.

Die ARD befürchtet, daß aus dem Berlin-Brandenburger Feuer ein Flächenbrand werden könnte. Daher gehen die anderen Intendanten auf maximale Distanz zum Haupstadtsender. Man habe „kein Vertrauen mehr, daß der geschäftsführenden Leitung des Senders die Aufarbeitung der diversen Vorfälle zügig genug gelingt“, sagt Ex- und nun wieder kommissarisch ARD-Vorsitzender Tom Buhrow. Es bestehe „die Gefahr, daß sich die Strukturen des RBB anfangen aufzulösen“. Auch der Redaktionsausschuß, eine Vertretung der Journalisten im Sender, will den „unverzüglichen“ Rücktritt der Bosse. Kurz darauf meldet sich Brandstätter mehrere Wochen krank. Als Ersatz benennt der Verwaltungsrat einen weiteren Geschäftsleiter, nämlich den Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus.

Wie gering der ÖRR die zwangsweise eingezogenen Gelder schätzt, zeigt derweil die Aufarbeitung des Falls Schlesinger. Allein die Anwaltskanzlei Lutz Abel erhält mehr als eine Million Euro. 13 Juristen prüfen die Vorwürfe gegen den Sender und seine Ex-Intendantin. Damit nicht genug: Drei weitere Juristen anderer Kanzleien für Straf- und Presserecht sind in der Angelegenheit für den RBB tätig, wie der Fachverlag Juve meldet.

Aber auch die Gegenseite läßt sich nicht lumpen. Gleich zwei Anwälte gönnt sich Patricia Schlesinger. Ihr Mann sowie der abberufene RBB-Verwaltungsratschef Wolf-Dieter Wolf werden von je einem Anwalt für Presse- und Strafrecht vertreten. Schon jetzt sind „gering sechsstellige Summen“ angefallen, so Dorette König, amtierende RBB-Verwaltungsratsvorsitzende. Wieviel es letztlich werde, wisse man nicht. Nun kommt auch heraus, wie weit die Öffentlich-Rechtlichen den Begriff „Grundversorgung“ auslegen. Für eine Summe im Millionenbereich haben sich Verantwortliche in vielen ARD-Anstalten mit Hunderten Gemälden versorgt – angeblich für Repräsentationszwecke. Der Aufbau von Kunstsammlungen durch ARD und ZDF mit Gebührengeldern gehöre nicht zu den Kernaufgaben der Sender, meinen Kritiker.

Foto: Ex-RBB-Chefin Patricia Schlesinger und ihr aktueller Vertreter, Jan Schulte-Kellinghaus: Der ÖRR-Sumpf nimmt kein Ende. Unablässig werden weitere Verstrickungen aufgedeckt.