© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/22 / 26. August 2022

Vorschläge für eine bessere Klimaschutzpolitik
Macht’s, aber macht’s richtig!

Das Klima verändert sich, daran besteht kein Zweifel. Welchen Anteil der Mensch daran hat, ist zwar weniger klar, als es oft dargestellt wird. Daß allerdings die sogenannten Treibhausgase zur Erd­erwärmung beitragen, scheint weithin unbestritten. Im Vordergrund steht dabei das Kohlendioxid (CO2), aber auch Methan und Fluorkohlenwasserstoffe gehören dazu. Sie gelten sogar als noch weitaus „klimaschädlicher“, kommen dafür allerdings in viel geringerer Menge in der Atmosphäre vor.

Auch Kohlendioxid ist eigentlich nur ein Spurengas, dessen Konzentration in der Luft lediglich 0,04 Prozent (400 ppm) entspricht. Deswegen ist es allerdings noch lange nicht vernachlässigbar, wie manche Kritiker meinen. Denn einerseits wäre ohne Kohlendioxid gar kein Leben auf der Erde möglich. Andererseits können in der Chemie schon kleine Veränderungen große Wirkungen oder sogar verhängnisvolle Kettenreaktionen auslösen. Immerhin hat sich der CO2-Gehalt der Erdatmosphäre seit Beginn der Industrialisierung laut Umweltbundesamt um gut 44 Prozent erhöht, nachdem er vorher 10.000 Jahre lang annähernd konstant war. Zwar hat es in anderen erdgeschichtlichen Zeiträumen auch schon viel höhere CO2-Konzentrationen als heute gegeben. Aber kaum jemals zuvor ist der CO2-Gehalt der Luft so rasch gestiegen wie im Zeitalter des modernen Menschen.

Trotzdem ist Panik, wie Greta Thunberg sie fordert (und die Politik sie täglich fördert), nicht die richtige Antwort auf das Problem. Man muß vielmehr nüchtern überlegen, was zu tun ist, und auch, was es kostet. Denn gerade wenn es um existentielle Fragen geht, darf man sein Geld nicht zum Fenster hinauswerfen. Man sollte sich statt dessen um größtmögliche Effektivität bemühen. Das beginnt schon bei der Frage, ob nicht Anpassung an den Klimawandel (Adaption) oft die bessere Alternative zu dem Versuch wäre, ihn zu bekämpfen (Mitigation). In der Tat gleichen viele gutgemeinte Aktionen, etwa auf regionaler Ebene, einem ebenso teuren wie aussichtslosen Kampf gegen Windmühlenflügel. Gerade dort, wo die größten Schäden durch die Erderwärmung drohen, sind Adaptionsmaßnahmen wie Küstenschutz und Gebäudeertüchtigung vermutlich weit effektiver als etwa die Installation von Photovoltaikanlagen.

Aber auch bei dem Versuch, den CO2-Ausstoß zu reduzieren, stellt sich die Frage der Maßnahmeneffizienz. So kostet die Vermeidung einer Tonne CO2 durch Photovoltaik rund 400 Euro und bei der Windenergie je nach Standort der Windräder zwischen 100 und 250 Euro. Dagegen kann dieselbe Menge CO2 in der Industrie für rund 85 Euro pro Tonne vermieden werden. Das ist der aktuelle Preis für ein Emissionszertifikat, das man für CO2-Emissionen in der Industrie und im Energiesektor benötigt. Sein Preis spiegelt deswegen recht gut die tatsächlich notwendigen Vermeidungskosten in diesen Bereichen wider. Nur dadurch, daß Wind- und Sonnenenergie zusätzlich noch hoch subventioniert werden, kommen diese Techniken trotz ihrer erheblichen Mehrkosten überhaupt zum Einsatz. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat denn auch in einem Sondergutachten 2019 gefordert, diese Subventionen abzuschaffen. Statt dessen sollte allein und möglichst umfassend auf den marktwirtschaftlichen und viel kostengünstigeren Ansatz des Emissionsrechtehandels gesetzt werden.

Die Politik ist dem aber bisher nicht gefolgt. Im Gegenteil, vielmehr blüht ein wildes Nebeneinander unterschiedlichster Vorschriften ohne jede Rücksicht auf die Kosten. Das reicht von völlig unwirtschaftlichen Vorgaben zur Gebäudedämmung über den zwangsweisen Einbau von Photovoltaik bis zum faktischen Verbot des Verbrennungsmotors im Verkehr. Die Philosophie dahinter ist, daß jeder Sektor, jedes Unternehmen und jede Kommune zum Klimaschutz „ihren Beitrag leisten“ müssen, koste es, was es wolle. Tatsächlich überbieten sich inzwischen alle darin, „klimaneutral“ zu werden oder wenigstens so zu tun. Das geht bis hin zu Albernheiten wie „Radeln für das Klima“ und anderen Klimaschutzaktionen, bei denen vermutlich weniger CO2 emittiert würde, wenn die Teilnehmer zu Hause blieben.

Dieser fast schon religiöse Eifer hat inzwischen das Nachdenken über möglicherweise viel sinnvollere Ansätze fast völlig verdrängt. Dabei fordern sowohl der Sachverständigenrat als auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium seit Jahren eine globale Lösung statt nationaler oder gar regionaler Klimaneutralität. Man muß sich klarmachen, daß Deutschland 2020 nur noch einen Anteil von 1,9 Prozent an den weltweiten menschengemachten CO2-Emissionen hatte. Für die gesamte EU liegt dieser Wert bei nur rund 9 Prozent. Dagegen entfallen allein auf China gut 30 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, gefolgt von den USA (13,5 Prozent), Indien (7 Prozent) und Rußland (4,5 Prozent). Allein diese Größenordnungen zeigen bereits, daß eine Lösung des Problems nur möglich ist, wenn die Hauptverursacher mit ins Boot geholt werden.

Hinzu kommt, daß die Emissionen in China und anderen Schwellenländern nach wie vor stark ansteigen. Selbst noch so radikale Maßnahmen in den Industrieländern können dies nicht kompensieren. So verwundert es nicht, daß trotz aller Klimaschutzbemühungen der weltweite CO2-Ausstoß kontinuierlich zunimmt, nur 2020 kurzzeitig unterbrochen aufgrund der Corona-Pandemie. So kommen wir also nicht weiter.

Vor allem ist es auch deutlich kostengünstiger, in den Schwellen- und Entwicklungsländern CO2 einzusparen als bei uns. So liegt der Preis für ein Emissionszertifikat in Chinas Kohlesektor bei nur sieben Euro pro Tonne, während in Deutschland für den gleichen Effekt stellenweise drei oder gar vierstellige Summen ausgegeben werden. In anderen Ländern mit Emissionsrechtehandel ist es noch viel günstiger. Der Sachverständigenrat beziffert den dortigen Durchschnittspreis auf lediglich zwei Dollar pro Tonne eingespartem CO2. Damit liegt auf der Hand, was zu tun wäre: Statt bei uns mit irrsinnigem Kostenaufwand noch das letzte Gramm an Treibhausgasen eliminieren zu wollen, sollte man das Geld besser für entsprechende Maßnahmen in den Entwicklungs- und Schwellenländern einsetzen. Das wäre nicht nur ökonomisch vernünftig, sondern so könnte auch ökologisch der größte Effekt mit den insgesamt ja begrenzten Mitteln erzielt werden.

Bescheidene Ansätze in dieser Richtung gibt es bereits. So haben die Vereinten Nationen bereits 2010 den Green Climate Fund (GCF) mit Sitz in Südkorea gegründet. Daraus werden Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern finanziert, während die großen Industrieländer – darunter auch Deutschland – in den Fonds einzahlen. Das Finanzvolumen ist allerdings mit derzeit etwa zehn Milliarden Dollar recht gering. Es wird zudem nicht geprüft, wie sich die Gesamtemissionen der geförderten Länder entwickeln. Das begünstigt Mitnahmeeffekte und Mehremissionen an anderer Stelle, womit wenig erreicht wäre. Vor allem aber wird der Fonds als zusätzliches Instrument verstanden und nicht als Alternative zu dem teuren Klimaschutzdirigismus zu Hause, was die ganze Idee letztlich ad absurdum führt.

Das könnte man wesentlich besser machen. Geld aus dem Fonds sollten zum einen nur Länder bekommen, die ihre CO2-Effizienz insgesamt verbessern und nicht nur einzelne Vorzeigeprojekte betreiben. Dabei wäre die Effizienz allerdings nicht am absoluten CO2-Ausstoß zu messen, sondern an den Emissionen pro Einheit des Bruttoinlandsprodukts (BIP). So könnten auch Länder teilnehmen, die weiter wachsen wollen beziehungsweise müssen. Die Finanzmittel sollten in einem Bieterverfahren an diejenigen Länder verteilt werden, die dafür als Gegenleistung den größten Einsparungseffekt anbieten. Es wäre auch nicht weiter schlimm, wenn sie etwa im nächsten Jahr wieder entsprechend mehr emittieren würden, denn CO2 ist eine Ressource, die dauerhaft in der Atmosphäre verbleibt, so daß selbst zeitweilige Einsparungen schon etwas bringen.

Auch beim Aufbringen der Fondsmittel könnte man weitgehend auf Freiwilligkeit und Wettbewerb setzen. Denn wer das Klimaproblem für gravierend hält, müßte logischerweise auch zu einem entsprechend großzügigen Beitrag bereit sein. Das gilt sowohl für Regierungen als auch für Nichtregierungsorganisationen und Privatleute. Jeder könnte auf diese Weise zeigen, wie ernst es ihm mit der Opferbereitschaft für den Klimaschutz ist oder eben auch nicht. Es kann natürlich sein, daß nach Auffassung von besonders engagierten Klimaschützern letztlich nicht genug Geld im Fonds zusammenkommt. Dann müßten sie aber entweder akzeptieren, daß andere ihre Vorstellungen offenbar nicht teilen, oder eben selbst entsprechende Mittel nachschießen. „Hic Rhodus, hic salta“ (frei übersetzt: Zeige jetzt, was du kannst), wie es in der berühmten Fabel des Äsop heißt.

Dieser durch und durch marktwirtschaftliche Ansatz folgt einem berühmten ökonomischen Theorem. Es wurde 1960 von dem späteren Nobelpreisträger Ronald Coase aufgestellt und ist nach ihm benannt. Das Coase-Theorem besagt, daß freiwillige Verhandlungslösungen in der Umweltpolitik staatlichen Vorschriften oft überlegen sind. Gerade beim Klimaschutz bietet sich seine Anwendung an. Denn hier gibt es gar keine übernationale Behörde, die einzelnen Ländern verbindliche Vorschriften machen könnte. Es bleibt also nur der Weg, widerspenstige Länder durch das Anbieten von Geld – oder anderen Vorzügen – quasi zum Mitmachen zu bestechen. Letztlich wäre das in jedem Fall billiger für uns, als den teuren und freiheitsraubenden Irrweg der Klimaneutralität von allem und jedem im eigenen Land weiterzugehen.




Prof. em. Dr. Ulrich van Suntum, Jahrgang 1954, lehrte von 1995 bis 2020 Volkswirtschaft an der Universität Münster.