© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/22 / 26. August 2022

Unbekannter Giftcocktail
Kaum Antworten zum Fischsterben an der Oder / Versagen bei Polens Behörden /Grenzüberschreitende Zusammenarbeit muß dringend verbessert werden
Martina Meckelein / Christian Rudolf / Erik Weinert

Tonnenweise treiben aufgeblähte tote Fische bäuchlings in der Oder. Es stinkt. Seit Wochen werden die Kadaver aus dem Wasser geholt, manuell und mit Schaufelbaggern. Warum die Tiere starben, ist ungeklärt. Sicher ist: Diese Katastrophe ist auch ein Politskandal allererster Güte. Es scheint sich nicht nur um ein Behördenversagen auf polnischer Seite zu handeln. Auch der unsägliche Filz der Regierungspartei PiS ist mitverantwortlich. Der Fisch stinkt vom Kopf.

Am 26. Juli soll das polnische Infrastrukturministerium auf das Massensterben in der Oder aufmerksam geworden sein. Erste Hinweise gehen in Bad Freienwalde (Kreis Märkisch-Oderland) erst am 9. August ein. Angler und Oder-Anwohner berichteten „von toten Fischen, die sich insbesondere in den Buhnen und Stauanlagen anfingen zu sammeln“, so die Stadtverwaltung. Deutsche Behörden werden von Polen offiziell erst am 11. August alarmiert. Der polnische Premier Mateusz Morawiecki entläßt zwei Spitzenbeamte (JF 34/22).

Am 12. August erläßt Frankfurt (Oder) ein Badeverbot. Touristen meiden die Region. Am 16. August kritisiert Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke die Kommunikation seitens Polens als „nur kleckerweise“. Es sei eine „Tatsache, daß sechs Tage, bevor bei uns Fische gestorben sind, Fische in Polen gestorben sind – und wir wurden nicht informiert“, so der SPD-Politiker. Sein grüner Umweltminister Axel Vogel bestätigt, daß die Internationale Kommission zum Schutz der Oder gegen Verunreinigung erst durch das Landesamt für Umwelt benachrichtigt wurde – Polen hätte dies ebenfalls tun müssen. Mecklenburgs Umweltminister Till Backhaus (SPD) bemängelt auch die fehlende Koordination der Bundesländer, Schuld habe die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke.

„Es gab Barsche und Hechte, nun

bewegt sich nichts mehr im Wasser“

Auch auf polnischer Seite wird vermutet, daß ein Salzbergwerk im niederschlesischen Glogau (Głogów) legal sein salzhaltiges Abwasser in die Oder habe entsorgen dürfen, ein Faktor, der ein massenhaftes Algenwachstum begünstigt haben könnte. Die für Fische toxische Mikroalge Prymnesium parvum habe in hoher Konzentration im Wasser nachgewiesen werden können. Aber wurden auch andere Giftstoffe abgesondert? Denn Amphibien, sowie Greif- und Wasservögel sind ebenso von dieser Katastrophe betroffen. „Achtung, eine weitere Fake News wird in Deutschland verbreitet!!!“, twitterte hingegen die polnische Umweltministerin Anna Moskwa vorigen Samstag. Die parteilose frühere Chefin der Windkraftsparte des teilstaatlichen Ölkonzerns PKN Orlen ärgert sich über Berichte in hiesigen Medien, daß erhöhte Konzentrationen von Pestiziden und Herbiziden das Fischsterben ausgelöst haben könnten. „In Polen wurde der Stoff getestet und unterhalb der Bestimmungsgrenze nachgewiesen, d. h. ohne Auswirkungen auf Fische oder andere Tiere, und ohne Verbindung zum Fischsterben.“ Dazu muß man wissen, daß die 43jährige mit Paweł Rusiecki, Vizepräsident der Staatlichen Wasserverwaltung (PGW WP) verheiratet ist.

Etwa 200 Tonnen tote Fische wurden bislang aus der Oder geborgen. Erst am 18. August bildete sich eine deutsch-polnische Expertengruppe, um die Ursachen für das mysteriöse Fischsterben zu klären. Vier Möglichkeiten sind denkbar: Die beschriebene toxische Algenblüte. Die „Fake News“ von erhöhen Pestizidwerten. Ausschwemmungen beim Tief- und Tagebau oder Industrieeinleitungen durch Chemie- oder Papierfabriken. Vielleicht auch eine Kombination dieser Ursachen.

Es waren die Bürger, die auf beiden Seiten des Flusses in die Hände spucken und aufräumen. „Wir haben zusammen mit dem Angelverein bei drei Arbeitseinsätzen ungefähr 1.500 Kilo tote Fische von den Ufern gesammelt“, schildert Henry Schneider, Fischmeister aus Brieskow-Finkenheerd (Kreis Oder-Spree), die Situation gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Bis zu einem dreiviertel Tag habe das jedesmal in Anspruch genommen. „Bei den hohen Temperaturen war das ziemlich anstrengend, aber die Motivation ist sehr groß.“

Am Samstag trieben auf Höhe von Frankfurt (Oder) keine toten Fische im Fluß. Hier fließt die Oder schnell. Das Wasser ist braun und schmutzig, man sieht kaum eine Handbreit tief, der Pegel steht bei 91 Zentimeter, Wassertemperatur: 23,4 Grad. Ein Kellner eines Restaurants direkt am Kai der Oder sagt: „Jetzt treiben keine toten Fische mehr im Fluß. Es sind überhaupt keine Fische mehr da.“ Und erklärt, wie er das überprüft: „Sonst werfe ich immer das Brot, das hier übrigbleibt, in kleinen Stückchen ins Wasser, und die Fische schnappen danach und verschwinden wieder in der Tiefe. Da waren große Fische, Barsche, Hechte. Aber jetzt ist gar nichts mehr, nichts bewegt sich im Wasser.“

Bei vielen Anwohnern bleibt die Besorgnis bestehen. „Es war ein ganz extremer Fischgeruch und eigentlich kennt man den ja, aber es war kaum möglich, die Fenster zu öffnen“, berichtet André Schneider vom Fischerhof Schneider an der Festung Küstrin gegenüber der JF. Zwar habe sich die Masse der angespülten Fische reduziert, doch vorbei ist es noch immer nicht. „Es war wirklich schlimm, und wir haben auf jeden Fall weniger Kundschaft“, resümiert er. Sein Hof liegt am Oder-Neiße-Radweg. „Einige Kunden haben ihre Übernachtungen auch bereits storniert.“ Der Landkreis Märkisch-Oderland, zu dem auch die Gemeinde Küstriner Vorland gehört, verbietet das Baden, Angeln und das Tränken von Vieh. Daß Touristen hierdurch abgeschreckt werden, ist selbstverständlich. Ein weiteres Problem stellen die Schließungen der Durchlässe beispielsweise bei Reitwein, ebenfalls in Märkisch-Oderland, dar. Über diese wird Wasser in die Alte Oder geleitet. Durch die Schließung kommt es dort ebenfalls zum Fischsterben, da es unter anderem an Wasser und Sauerstoff mangelt.

Auf polnischer Seite, in Słubice, so heißt die Frankfurter Dammvorstadt heute auf polnisch, warnen DIN-A4-Ausdrucke der Stadtverwaltung vor dem Fluß, der laut Brockhaus von 1951 die „Hauptwasserstraße des deutschen Ostens“ war: „Achtung! Oder vergiftet! Nicht ins Wasser gehen!“ Dazu als Warnsignal die schematische Zeichnung eines verendeten Fisches. Doch es sind auch andere Ausdrucke an Bäume getackert zu lesen: „Achtung!! Oder vergiftet!! Nicht annähern!!“ warnen Einwohner von Słubice. „Die Gemeindeverwaltungen schlafen!!!“


mluk.brandenburg.de/mluk/de/aktuelles/fischsterben-an-der-oder/

Brief zum Schutz der Oder:   saveoder.org/kontakt